Update: Politische Betätigung durch NPOs

10.03.2025 | FGS Blog

Zu der „Kleinen Anfrage“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Die erstmalige Beschlussfassung im Deutschen Bundestag mit den Stimmen von Abgeordneten der Union, der FDP und der AfD über einen Entschließungsantrag zu Verschärfungen in der Migrationspolitik hat große öffentliche Proteste in zahlreichen deutschen Städten ausgelöst. Als Reaktion darauf hat die CDU/CSU-Fraktion am 24.02.2025 der Bundesregierung einen umfangreichen Fragenkatalog im Zusammenhang mit der „politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ zukommen lassen (sog. Kleine Anfrage, BT-Drs. 20/15035). Bei genauerer Betrachtung handelt es sich nicht um 551 unterschiedliche Fragen, sondern überwiegend um ein Fragenbündel von rund 25 bis 30 Fragen, die zu 17 namentlich benannten gemeinnützigen Körperschaften (u. a. Correctiv gGmbH, Omas gegen Rechts Deutschland e.V. und BUND e.V.) gestellt wurden.

Diese Anfrage hat zu großer öffentlicher Empörung geführt (siehe z. B. den von über 1.700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterzeichneten offenen Brief an die CDU/CSU-Fraktion und die Stellungnahme des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen). Die Empörung fußt insbesondere darauf, dass durch diese Anfrage letztlich die größte und die künftige Bundesregierung tragende Fraktion zu wesentlichen Akteuren der Zivilgesellschaft spricht. Dabei stellt die Anfrage nicht nur die Gemeinnützigkeit der namentlich adressierten Organisationen in Frage, sondern in gleichem Maße auch deren staatliche finanzielle Förderung. Beides ist für die meisten dieser Organisationen finanziell existenziell und von ihrem Selbstverständnis her grundlegend.

Die aktuellen gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorgaben

Gleichzeitig hat die Anfrage in der Zivilgesellschaft für erhebliche rechtliche Verunsicherung gesorgt. Die rechtlichen Grundlagen für die politische Betätigung steuerbegünstigter Körperschaften hat der Bundesfinanzhof (BFH) bereits in den 1970er-Jahren gelegt und in den vergangenen Jahren in mehreren Entscheidungen vertieft (insb. im Rahmen der sog. Attac-Rechtsprechung, Urteil vom 10.01.2019, Az. V R 60/17, „Attac I“, und Beschluss vom 10.12.2020, Az. V R 14/20, „Attac II“); siehe dazu auch unsere Blogbeiträge vom 27.02.2019 und 14.12.2021). Gegen die Entscheidungen ist eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht anhängig (Az. 1 BvR 697/21).

Die wesentlichen rechtlichen Grundlinien stellen sich auf Grundlage dieser gefestigten Rechtsprechung wie folgt dar:

  1. Eine gemeinnützige Körperschaft darf weder nach ihrer Satzung noch in ihrer tatsächlichen Geschäftsführung einen partei- oder allgemeinpolitischen Zweck verfolgen. Politische Betätigung ist kein anerkannter steuerbegünstigter Zweck. Hintergrund ist, dass der staatlich geförderte politische Diskurs grundsätzlich den anerkannten Parteien vorbehalten ist. Nur für diese gelten nämlich die strengen Vorgaben zur Parteienfinanzierung nach dem Parteiengesetz, die nicht durch das Gemeinnützigkeitsrecht unterlaufen werden sollen.
  2. Zulässig ist die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung zur Verfolgung der eigenen steuerbegünstigten Satzungszwecke. Die politische Betätigung darf also nicht Zweck, aber Mittel zur Verwirklichung eines anerkannt steuerbegünstigten Zwecks sein, solange sie nicht gegenüber den übrigen Zweckverwirklichungsmaßnahmen überwiegt. Dieser Grundsatz aus der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 20.03.2017, X R 13/15, „BUND Hamburg“) wurde bereits Anfang 2022 in den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) übernommen (vgl. dazu ausführlich Nr. 16 Abs. 2 AEAO zu § 52).
  3. Eine gewisse Rechtsunsicherheit entsteht dadurch, dass die politische Betätigung nach Ansicht des BFH nur soweit zulässig ist, wie sie zur Zweckverwirklichung erforderlich ist. Zwingende Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung – auch im Rahmen der Zweckverwirklichung – zudem die parteipolitische Neutralität. Diese Anforderung darf aber nicht überinterpretiert werden. So kann es einer politischen Betätigung zur Verwirklichung eines gemeinnützigen Satzungszwecks beispielweise nicht entgegenstehen, wenn sich der konkrete Satzungszweck inhaltlich mit Teilen des Programms einer bestimmten politischen Partei deckt (z.B. sozialer Wohnungsbau, Umwelt- und Klimaschutz, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik). Äußerungen von Parteien dürfen zum Anlass genommen werden, um konkrete politische oder gesellschaftliche Missstände in den Fokus zu rücken (vgl. etwa zu einer Kampagne über Wählertäuschung, BFH-Urteil vom 23.09.1999, Az. XI R 63/98, BStBl II 2000, 200).
  4. Außerhalb der eigenen steuerbegünstigten Satzungszwecke ist es nach derzeitiger Auffassung der Finanzverwaltung „in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips“ nicht zu beanstanden, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt (z.B. ein Aufruf eines Sportvereins für Klimaschutz oder gegen Rassismus im Sinne einer corporate citizenship). Die Rechtsprechung lässt solche Stellungnahmen noch etwas häufiger zu („gelegentlich“). Im Regierungsentwurf des Steuerfortentwicklungsgesetz vom 16.08.2024 war vorgesehen, dass diese Ausnahme zu den „unschädlichen Betätigungen“ nach § 58 AO aufgenommen wird. Wie die meisten gemeinnützigkeitsrechtlich relevanten Änderungen ist dieses Gesetzesvorhaben dem vorzeitigen Ende der Ampel-Koalition zum Opfer gefallen.

Ausblick: Keine gesetzliche Klarstellung zu erwarten

Die in der Öffentlichkeit aktuell sehr lebhaft geführte Diskussion zeichnet bereits vor, dass sich auch die neue Bundesregierung voraussichtlich nicht auf eine gesetzliche Klärung der Rahmenbedingungen für eine politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen einigen wird. Im Grunde gibt die höchstrichterliche Rechtsprechung aber ausreichende Leitlinien für zivilgesellschaftliche Akteure vor. Zudem sind diese Grundsätze zumindest in Ansätzen auch im AEAO niedergelegt und damit für die Finanzverwaltung verbindlich zu berücksichtigen.