Update Italien: Oberster italienischer Gerichtshof schränkt Anwendbarkeit der OECD-Verrechnungspreisleitlinien ein
In seiner Entscheidung v. 10.10.2024 in der Rechtssache „Ilapak Italia SpA v. Agenzia delle Entrate“ (26432/2024) hatte der italienische oberste Gerichtshof über die Hierarchie der Verrechnungspreismethoden zu entscheiden. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof insbesondere zu den Ausführungen der OECD in ihren Verrechnungspreisleitlinien und dem Konkurrenzverhältnis zum nationalen Recht Stellung genommen. Im Hinblick darauf, dass die Empfehlungen der OECD bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes einen internationalen Konsens schaffen sollen, sind hiervon abweichende nationale „Alleingänge“ von hoher praktischer Relevanz und können Rechtsunsicherheiten befördern.
Die Ilapak Italia SpA, Italien, ist Teil der IMA-Ilapak-Gruppe mit Obergesellschaft in der Schweiz und fungiert als zentrale Produktionseinheit im Konzern. Das italienische Unternehmen stellt vorwiegend Verpackungsmaschinen her, die anschließend an Konzernunternehmen verkauft werden. Im Rahmen einer Betriebsprüfung im Jahr 2011 beanstandete die italienische Finanzverwaltung die Anwendung der Preisvergleichsmethode auf den konzerninternen Verkauf der Maschinen. Konkret solle dies im Widerspruch zu Art. 110 (7) des italienischen Einkommensteuergesetzes stehen. In diesem Zusammenhang nahm die italienische Finanzbehörde eine Einkünftekorrektur gestützt auf die nach ihrer Auffassung besser geeignete „Transaktionsbezogene Nettomargenmethode“ (TNMM) vor.
Schon in erster Instanz wurde die Auffassung der italienischen Finanzverwaltung bestätigt. So sei die durch Ilapak Italia SpA erzielte Gewinnmarge gegenüber der durchschnittlichen Rentabilität vergleichbarer Unternehmen deutlich geringer und entspreche daher nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz. Als Reaktion hierauf wandte sich die Ilapak Italia SpA an den italienischen obersten Gerichtshof, da ihrer Auffassung nach die Preisvergleichsmethode gegenüber der TNMM Vorrang habe (vgl. OECD Verrechnungspreisleitlinien 2010, Tz. 2.3 (nachfolgend: „OECD VPL“)).
Das oberste Gericht stellte zunächst klar, dass die OECD VPL außerhalb der gesetzlichen Regelungen stehen und daher gesetzlichen bzw. regulatorischen Bestimmungen des italienischen Rechts untergeordnet seien. Die OECD VPL würden bloß allgemeine Ausführungen bzw. Hilfestellungen beinhalten, d. h. ihnen würde kein verbindlicher Charakter zukommen. Insbesondere sei der Fremdvergleichsgrundsatz auf Grundlage von Art. 110 (7) des italienischen Einkommensteuergesetzes auszulegen. Dies schließe die streitgegenständliche Methodenauswahl ein. Insoweit bestehe zwischen der Preisvergleichsmethode und der TNMM keine grundsätzliche und jedem Fall geltende hierarchische Überordnung der Preisvergleichsmethode.
Ferner sei unter Berücksichtigung der Struktur der Gruppe sowie des schwach ausgeprägten Funktions- und Risikoprofils der Ilapak Italia SpA die TNMM die vorliegend besser geeignete Methode. Denn die zentrale Steuerung der italienischen Gesellschaft, die für einen „typischen Marktteilnehmer“ nicht charakteristisch sei, schränke die Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode ein. Auf Grundlage der TNMM könne hingegen auf fremdübliche Gewinnspannen abgestellt werden, was vorliegend besser geeignet scheine.
Das Urteil des italienischen obersten Gerichtshofs zeigt erneut das Spannungsfeld zwischen den Empfehlungen der OECD, die das Ziel verfolgen, harmonisierte Grundsätze für die Bestimmung fremdübliche Verrechnungspreise zu schaffen, und den prinzipiell sehr unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften.
Bezogen auf den vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass im Streitjahr wohl die OECD VPL 2010 maßgebend waren. Ausweislich Tz. 2.3 der OECD-VPL 2010 haben die geschäftsvorfallbezogenen Standardmethoden (Preisvergleichs-, Kostenaufschlags- und Wiederverkaufspreismethode) grundsätzlich Vorrang gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (TNMM oder Profit Split). Wenn also sowohl eine Standard- als auch eine Gewinnmethode auf einen Geschäftsvorfall Anwendung finden kann, sollte die Standardmethode Vorrang haben. Vor dem Hintergrund der OECD-Empfehlungen ist der Auffassung der Klägerin, Ilapak Italia SpA, damit (zunächst) zuzustimmen. Gleichwohl setzt dies voraus, dass die Preisvergleichsmethode auch tatsächlich geeignet ist, einen fremdüblichen Verrechnungspreis ermitteln zu können.
Aus deutscher Sicht ist festzuhalten, dass es keine gesetzlich vorgegebene Rangfolge der Verrechnungspreismethoden gibt. Gem. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG sind Verrechnungspreise nach der „am besten geeigneten Verrechnungspreisemethode zu bestimmen“. Gleichwohl entspricht es der Auffassung des Bundesfinanzhofs, dass der Preisvergleichsmethode als „Grundmethode“ der Vorrang einzuräumen ist (vgl. BFH v. 18.5.2021, I R 4/17). Hierbei bezieht sich der Bundesfinanzhof direkt auf die OECD-Verrechnungspreisleitlinien und begründet den Vorrang der Preisvergleichsmethode damit, dass diese Methode unmittelbar zur Feststellung des Verrechnungspreises führt.
Gleichwohl sind der Preisvergleichsmethode gewisse Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Geschäftsvorfälle vorausgesetzt. Konkret kommt die Anwendung der Methode regelmäßig nur dann in Betracht, wenn der zu beurteilende Preis und der als Maßstab anzulegende Fremdvergleichspreis auf zumindest im Wesentlichen vergleichbaren Leistungsbeziehungen beruhen. D. h. Art und Ausgestaltung der Vergleichsobjekte und auch die Nebenbedingungen des Vergleichsgeschäfts müssen mit dem zu beurteilenden Geschäft in den wesentlichen Merkmalen übereinstimmen oder etwaig abweichende Merkmale müssen durch Korrekturen eliminiert werden können. Über die Frage, ob bzw. inwieweit eine Vergleichbarkeit gegeben ist, wird in der Praxis häufig gerungen. So kommt auch der italienische oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass insbesondere mangels hinreichender Vergleichbarkeit die Preisvergleichsmethode im konkreten Fall nicht geeignet sei, einen fremdüblichen Verrechnungspreis zu bestimmen. Der italienische oberste Gerichtshof äußert sich demgegenüber nicht dazu, ob der Preisvergleichsmethode der Vorrang einzuräumen wäre, wenn sowohl diese als auch die TNMM Anwendung finden können. Nur wenn sogar dann – aus italienischer Sicht – die TNMM bevorzugt anzuwenden wäre, würde dies tatsächlich im Widerspruch zu den OECD-Empfehlungen (und aus deutscher Sicht zur höchstrichterlichen Rechtsprechung stehen).
Im Ergebnis zeigt sich das Urteil des italienischen obersten Gerichtshofs damit als „klassischer“ Verrechnungspreis- bzw. Verrechnungspreismethodenstreit. Es unterstreicht zugleich die Bedeutung einer umfassenden und frühzeitigen Dokumentation. So sind Steuerpflichtige gut beraten (auch) bei Anwendung der Preisvergleichsmethode deren Anwendungsvoraussetzungen sorgfältig zu prüfen und zu dokumentieren.