Umsatzsteuerliche Organschaft: Steuerschuldner für Organschaftsumsätze und unentgeltliche Wertabgaben bei öffentlichen Einrichtungen

05.08.2020 | FGS Blog

Die umsatzsteuerliche Organschaft beschäftigt seit Jahren nicht nur die höchsten deutschen Gerichte. War in der jüngeren Vergangenheit insbesondere die Qualifikation von Personengesellschaften als umsatzsteuerliche Organgesellschaften umstritten, so stellen der XI. und V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) nunmehr die deutschen Organschaftsregelungen in Gänze in Frage.

 

Beide Umsatzsteuersenate haben binnen eines halben Jahres dem EuGH u.a. die Frage vorgelegt, ob sich der deutsche Grundsatz, dass der Organträger Steuerpflichtiger und damit Umsatzsteuerschuldner für die gesamte Gruppe ist, mit Unionsrecht vereinbaren lässt. So verlangte bereits der XI. Senat des BFH mit Beschluss vom 11. Dezember 2019 (XI R 16/18; C-141/20) Auskunft über die Frage, ob aus unionsrechtlicher Sicht anstelle des Organträgers vielmehr der Organkreis als Steuerpflichtiger anzusehen ist. Mithin würden der Organkreis bzw. die Mehrwertsteuergruppe selbst einen neuen „fiktiven“ Steuerpflichtigen begründen. Diese Vorlage veranlasste nunmehr den V. Senat, ebenfalls den EuGH anzurufen.

 

Die beiden anhängigen Verfahren können erhebliche Folgen für die deutsche Organschaftsbesteuerung und insbesondere den Fiskus haben. Hierzu verweist der BFH auf die Steuerzahlungen der Gesamtheit der Organträger, die 10% des gesamten Steueraufkommens aus der Umsatzsteuer in Deutschland (nach dem letzten hierzu vorliegenden Bericht des BMF vom 31. Januar 2019 über die Steuereinnahmen des Bundes und der Länder im Haushaltsjahr 2018: 234,8 Mrd. €) ausmachen. Für Steuerpflichtige stellt sich daher die Frage nach dem weiteren Vorgehen.

Vorlageverfahren des V. Senats vom 7. Mai 2020 (V R 40/19)

Im zugrundeliegenden Revisionsverfahren musste sich der V. Senat mit der Frage beschäftigen, ob die Leistungen einer Organgesellschaft für den hoheitlichen, d.h. – aus umsatzsteuerlicher Sicht – nichtwirtschaftlichen Bereich des Organträgers als nichtsteuerbare Innenleistungen zu qualifizieren sind oder als unentgeltliche Wertabgaben der Umsatzsteuer unterliegen.

 

Die Beantwortung dieser – schon für sich genommen – höchst relevanten Frage erfordert indes zunächst die Identifizierung des Steuerpflichtigen. Denn bestimmen die deutschen Normen unionsrechtswidrig den Organträger als Unternehmer und Steuerschuldner (auch) für Leistungen der Organgesellschaft, wäre eine Festsetzung von Umsatzsteuer gegenüber dem Organträger bereits aus diesem Grund möglicherweise aufzuheben. Stattdessen müsste eine Festsetzung gegenüber der Mehrwertsteuergruppe als „fiktivem“ Steuerpflichtigen erfolgen. Besonders erwähnenswert ist, dass der BFH bereits in der Vorlagefrage auf die Gefahr erheblicher Steuerausfälle hinweist, die diese Sichtweise nach sich ziehen würde.

Umsatzsteuerliche Organschaft – Auffassung des V. Senats

In Bezug auf die Vereinbarkeit der nationalen Rechtsgrundlage für die umsatzsteuerliche Organschaft mit der unionsrechtlichen Vorschrift des Art. 11 MwStSystRL, lässt der vorlegende Senat seine eigene Auffassung deutlich erkennen. In dem Vorlagebeschluss führt er, anders als noch der XI. Senat zuvor, Argumente dafür auf, dass es durchaus vertretbar sei, ein einzelnes Mitglied der Organgruppe zum Steuerpflichtigen zu bestimmen. Für den V. Senat ist es dabei unzweifelhaft, dass dieser Schuldner der Umsatzsteuer zwar rechtlich unabhängig sein kann. Er muss aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Verknüpfungen mit den anderen beteiligten Organgesellschaften verbunden sein.

 

Diese Auffassung, dass der Organträger alleiniger Steuerpflichtiger in der Mehrwertsteuergruppe sein kann, schien unter Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut und die bisherige Rechtsprechung des EuGH als gefestigt. Durch die Vorlage des XI. Senats ist die Vereinbarkeit mit der unionsrechtlichen Vorgabe allerdings zweifelhaft geworden.

 

Sollte die bisherige Handhabung in Deutschland nicht mehr haltbar sein, könnte dies erhebliche fiskalische Folgen hervorrufen.  Denn Organträger könnten sich möglicherweise auf die Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Norm berufen, so dass eine Umsatzbesteuerung der Gruppe auf ihrer Ebene ausscheidet.

 

Demgegenüber bestünde für die Organgesellschaften gegebenenfalls die Möglichkeit, die aktuelle deutsche Sichtweise – zumindest bis zu einer gesetzlichen Neuregelung – weiterhin anzuwenden. Somit käme eine Besteuerung auf Ebene der Organgesellschaften für ihre eigenen Umsätze ebenfalls nicht in Betracht. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass (nur) der XI. Senat den EuGH explizit fragt, ob sich der Steuerpflichtige – im Falle einer Unionsrechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG – auf Art. 11 MwStSystRL berufen kann bzw. ob dies notwendig ist. Nach der aktuellen EuGH-Rechtsprechung ist diese Frage nicht abschließend geklärt.

Nichtwirtschaftlicher Bereich von Organschaft umfasst?

Der zweite Teil des Vorlagebeschlusses dreht sich um die Frage, ob Leistungen, die von einem wirtschaftlichen Bereich einer Organschaft in den nichtwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich erbracht werden, eine unentgeltliche Wertabgabe darstellen können und als solche steuerbar sind.

 

Die frühere EuGH-Rechtsprechung VNLTO (C-515/07) könnte der Annahme einer unentgeltlichen Wertabgabe entgegenstehen. Denn der nichtwirtschaftliche Bereich ist nicht unternehmensfremd. Die Leistung kann somit auch nicht für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, erbracht werden. Das Gericht begründete dies seinerzeit damit, dass die Verwendung für nichtwirtschaftliche Zwecke nicht mit einer Verwendung für unternehmensfremde Zwecke im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 77/388/EWG gleichzusetzen sei.

 

Da sich das EuGH-Urteil aber nur auf den Vorsteuerabzug bezieht, stellt sich der BFH hier zu Recht die Frage, ob diese Folgerungen auch auf den Steuertatbestand der unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG (Art. 26 MwStSystRL) übertragbar ist. Sollten die Grundsätze anwendbar sein, hätte dies zur Folge, dass der Innenumsatz in den nichtwirtschaftlichen Bereich nicht als unentgeltliche Wertabgabe zu qualifizieren wäre und eine Versteuerung des Umsatzes unterbleiben würde. Die Beantwortung dieser Frage dürfte für einige juristische Personen des öffentlichen Rechts, gemeinnützige Einrichtungen und gemischte Holdings von Belang sein.

Folgen für die Praxis

Solange die Auslegung des Art. 11 MwStSystRL und folglich auch die Unionskonformität der umsatzsteuerlichen Organschaft nicht durch den EuGH geklärt ist, ist es naheliegend angesichts der möglichen Folgen betroffene Umsatzsteuer-Veranlagungen offenzuhalten. Konkrete Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen sind darüber hinaus stets vom Einzelfall abhängig, da in die Entscheidungsfindung unterschiedliche Faktoren reinspielen.

 

Es bleibt daher abzuwarten, ob durch die anstehenden EuGH-Urteile eine vollumfängliche und allgemein gültige Auslegung des Unionsrechts geschaffen wird, der die bestehenden Rechtsunsicherheiten beseitigt oder ob sich letztendlich sogar der nationale Gesetzgeber gezwungen sieht, eine Neuregelung auszugestalten.

Weiteres Relevantes zum Thema umsatzsteuerliche Organschaft

Auch hinsichtlich des kürzlich vom FG Berlin-Brandenburg beim EuGH angestrebten Vorlageverfahrens steht noch eine Entscheidung aus (5 K 5044/19). Eine Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) begehrte dabei den Einbezug als umsatzsteuerliche Organgesellschaft in das Unternehmen einer ihrer Kommanditistin. Anlass der EuGH-Vorlage war die Frage, ob die Annahme einer finanziellen Eingliederung erfordert, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die ebenfalls in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind.

 

Weiterhin bleibt abzuwarten wie es mit der Einführung einer Gruppenbesteuerung weitergeht. Diese wird sowohl von Bund und Ländern vorangetrieben als auch vom XI. Senat befürwortet. Bei dieser Art der Besteuerung würden sich mehrere Unternehmen auf Antrag hin zu einer Gruppe zusammenschließen, die dann das Steuersubjekt bildet. Eine solche Gruppenbesteuerung würde jedoch auch mit einer gesamtschuldnerischen Haftung der Gruppe und allen sich daran anschließenden Folgen beispielsweise beim Ausscheiden oder Verkauf eines Gruppenmitglieds einhergehen (vgl. auch BMF, Eckpunktepapier vom 14. März 2019). Aufgrund der EuGH-Vorlagen könnte dieses Reformvorhaben ins Stocken geraten.