Am 30. Juni 2017 wurde die Europäische Prospektverordnung (Verordnung (EU) 2017/1129) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Einige der Neuregelungen gelten bereits seit dem 20. Juli 2017. Die prospektfreie Zulassung von Aktien zum regulierten Markt ändert sich gegenüber der bisherigen Regelung im Wertpapierprospektgesetz (WpPG) erheblich.

Prospektverordnung erhöht 10-Prozent-Grenze auf 20 Prozent

Bislang sah § 4 Abs. 2 Nr. 1 WpPG vor, dass Wertpapiere, die der selben Gattung wie bereits zum Handel an dem organisierten Markt zugelassene Wertpapiere angehören, bis zu einer Grenze von 10 Prozent des Grundkapitals innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten prospektfrei zugelassen werden können. Diese in der Praxis sehr häufig genutzte Ausnahmeregelung wurde nunmehr auf 20 Prozent der Anzahl der bereits zugelassenen Aktien erhöht. Neben der Erhöhung der 10-Prozent-Grenze auf 20 Prozent wird der Anwendungsbereich auf fungible Wertpapiere (anstelle von: Wertpapiere derselben Gattung) erweitert. Es können daher über diese Ausnahmeregelung nunmehr auch junge Aktien mit abweichender Gewinnberechtigung ausgegeben werden.

 

Die Deutsche Börse hat die Änderung der Rechtslage zum Anlass genommen, ihre Verwaltungspraxis zur Berechnung der jeweiligen Prozentgrenze zu ändern. Nunmehr wird die 20-Prozent-Grenze ermittelt, indem von der Zahl der zum Zeitpunkt des Zulassungsbeschlusses zugelassenen Wertpapiere (100 Prozent) alle innerhalb der davorliegenden zwölf Monate gemäß dieser Regelung prospektfrei zugelassenen Wertpapiere subtrahiert werden (vgl. Listing-Rundschreiben 03/17 der Frankfurter Wertpapierbörse vom 13. Juli 2017 [6]).

 

Die Neuregelungen der Prospektverordnung betreffen nur die Zulassung von Aktien zum regulierten Markt. Ein öffentliches Angebot von Aktien ist weiterhin prospektpflichtig. Daher muss das Bezugsrecht der Aktionäre in der Regel ausgeschlossen werden, wenn die neuen Erleichterungen genutzt werden sollen. Viele genehmigte Kapitalia sehen im Einklang mit § 186 Abs. 3 S. 4 AktG einen Ausschluss des Bezugsrechts bei Kapitalerhöhungen bis zu 10 Prozent nur einmal pro Laufzeit des genehmigten Kapitals vor. Dennoch erweitern sich die Möglichkeiten, Kapitalerhöhungen prospektfrei zu strukturieren. Möglich ist dies z.B., indem die Hauptversammlung selbst die Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre nach § 186 Abs. 3 S. 4 AktG beschließt oder das genehmigte Kapital vor und nach einer neuen Beschlussfassung durch die Hauptversammlung ausgenutzt wird. Diese Möglichkeiten müssen jedoch im Einzelfall geprüft werden.  

20-Prozent-Grenze auch für Aktien aus bedingten Kapitalia

Nach der bisherigen Regelung in § 4 Abs. 2 Nr 7 WpPG konnten Aktien, die aus der Umwandlung oder dem Eintausch anderer Wertpapiere oder der Ausübung von Rechten aus anderen Wertpapieren resultieren, unbeschränkt prospektfrei zugelassen werden. Dies betrifft insbesondere Aktien aus bedingten Kapitalia zur Unterlegung von Wandelschuldverschreibungen oder Optionen. Da auf diese Weise eine Umgehung der Prospektpflichten möglich war (z.B. indem Wandelschuldverschreibungen unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre prospektfrei ausgegeben und über § 4 Abs. 2 Nr. 7 WpPG auch prospektfrei in Aktien gewandelt werden), hatte die ESMA diese Möglichkeit bereits seit geraumer Zeit beobachtet (vgl. z.B. Frage 26 der Q&A der ESMA zu Prospekten).  Nach der Prospektverordnung ist diese Möglichkeit nunmehr auf 20 Prozent der zulassungsfähigen Aktien beschränkt.

Ab 2019: 20-Prozent-Grenze für Kombinationen beider Ausnahmeregelungen

Die Prospektverordnung enthält die Regelung, dass eine Kombination der beiden genannten Ausnahmetatbestände nicht dazu führen darf, dass die 20-Prozent-Grenze in Summe überschritten wird. Es können also neue Aktien z.B. aus einem genehmigten Kapital und einem bedingten Kapital in Summe nur bis zu der Grenze von 20 Prozent des Grundkapitals innerhalb von zwölf Monaten prospektfrei zugelassen werden. Diese Kombinationsregelung gilt jedoch erst ab dem 21. Juli 2019. Die Deutsche Börse weist ausdrücklich darauf hin, dass bis zu diesem Datum Kombinationen nicht der 20-Prozent-Grenze unterliegen und somit jede Ausnahmemöglichkeit für sich bis zur Grenze von 20 Prozent genutzt werden kann. Emittenten sollten daher prüfen, ob im Hinblick auf bereits beschlossene bedingte Kapitalia Handlungsbedarf besteht.