Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat kürzlich den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) umfassend geändert. Das BMF-Schreiben datiert bereits vom 12. Januar 2022, ist allerdings erst am 27. Januar 2022 auf der Website des BMF veröffentlicht worden.
Hier eine erste Einschätzung zu den für die Praxis wesentlichen Änderungen:
Politische Betätigung gemeinnütziger Körperschaften
Mit Spannung erwartet worden waren die Ausführungen der Finanzverwaltung zur politischen Betätigung gemeinnütziger Körperschaften. Die Finanzverwaltung übernimmt die langjährige, bis in die 1980er-Jahre zurückgehende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Die Kernthesen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Politische Statements – auch zu tagespolitischen Fragestellungen – sind gemeinnützigkeitsrechtlich erlaubt, sofern sie im inhaltlichen Kontext des Satzungszwecks stehen und in der Sache objektiv, insbesondere parteipolitisch neutral sind.
- Gemeinnützigkeitsrechtlich zulässig sind – jeweils im Rahmen der satzungsmäßigen, auf die Verfolgung des Satzungszwecks gerichteten Geschäftsführung – die Äußerung von Kritik (beispielsweise an Gesetzesvorhaben) sowie die Erarbeitung von Lösungs- und Verbesserungsvorschlägen – auch mit dem Ziel, diese Überlegungen der Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsträgern näherzubringen.
- Jede Betätigung und Äußerung mit (tages-)politischem Bezug bedarf der „geistigen Offenheit“. Nicht zulässig ist es hingegen, auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung in dem Sinne Einfluss zu nehmen, dass die eigene (und sei es die im Rahmen des Satzungsauftrags entwickelte) Auffassung ausschließlich der Durchsetzung einer bestimmten politischen Richtung dient.
Erfreulicherweise stellt die Finanzverwaltung klar, dass „vereinzelte“ Äußerungen zu tagespolitischen Themen auch ohne Bezug zum eigenen Satzungszweck unschädlich sind, z.B. Aufrufe eines Karnevalsvereins gegen Rassismus und Diskriminierung oder Aufrufe eines Sportvereins zum Klimaschutz.
M.E. zu eng ist hingegen die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen im Rahmen der Zweckverfolgung nur „gelegentlich“ erfolgen und nicht „im Mittelpunkt“ stehen dürfen. Diese Restriktion kann z.B. wissenschaftliche Einrichtungen und Umweltverbände betreffen, die sich je nach Satzungszweck naturgemäß fortlaufend mit tagespolitischen Themen – etwa zur Außen-, Steuer-, Arbeitsmarkt- oder Klimaschutzpolitik – auseinandersetzen.
Kooperationen gemäß § 57 Abs. 3 AO
Bei Kooperationen gemäß § 57 Abs. 3 AO bleibt die Finanzverwaltung – leider – beim sogenannten „doppelten Satzungserfordernis“. Danach muss das „planmäßige Zusammenwirken“ auch in den Satzungen der Kooperationspartner abgebildet sein, die auch ohne die Kooperation unmittelbar gemeinnützig tätig sind. Diesbezüglich macht die Finanzverwaltung gemeinnützigen Körperschaften das Leben auch mit den jüngsten Änderungen nicht viel einfacher. Zwar gesteht sie zu, die Kooperationspartner in der Satzung abstrakt zu bezeichnen, z.B. durch Anknüpfung an einen Konzern oder Verband. Allerdings hat der neue Erlass den Anklang, als ob im Übrigen eine namentliche Nennung aller Kooperationspartner in der Satzung erforderlich sei – was keine Stütze im Gesetz findet und dem gesetzgeberischen Ziel, Kooperationen zu erleichtern, entgegenläuft. In Konzern- und Verbandsfällen muss sich die namentliche Benennung der Kooperationspartner aus einer „Aufstellung“ ergeben, die dem zuständigen Finanzamt bei Beginn der Kooperation und bei Änderung der Kooperationspartner zusätzlich zur Satzung vorzulegen ist. Abbau von Bürokratie sieht anders aus! Kooperationen auf Grundlage des § 57 Abs. 3 AO bleiben also schwierig. Im Einzelfall kann es helfen, eine Kooperation auf § 58 Nr. 1 AO zu stützen.
Eine Erleichterung sieht der neue Erlass lediglich insoweit vor, als eine Kooperation nach § 57 Abs. 3 AO auch dann möglich ist, wenn ihre Abbildung in der Satzung einer Körperschaft, die bereits ohne die Kooperation unmittelbar gemeinnützig tätig ist, zivilrechtlich noch nicht wirksam ist. Es muss allerdings ein wirksamer Organbeschluss zu einer entsprechenden Satzungsänderung vorliegen. Außerdem muss die Satzungsänderung zur Eintragung in das Vereins- oder Handelsregister angemeldet oder zur stiftungsbehördlichen Genehmigung vorgelegt worden sein. Zudem muss die Satzungsänderung später tatsächlich zivilrechtlich wirksam werden. Auf Ebene einer reinen Servicegesellschaft müssen die satzungsmäßigen Voraussetzungen einer Kooperation hingegen von Anfang an zivilrechtlich wirksam sein.
An anderer Stelle stellt die Finanzverwaltung allgemein klar, dass dem Gebot der (dauerhaften) Vermögensbindung (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) auch das Vermögen unterliegt, das vor dem Beginn der Gemeinnützigkeit gebildet wurde. Dies betrifft z.B. bislang voll steuerpflichtige Servicegesellschaften, die auf Grundlage des § 57 Abs. 3 oder des § 58 Nr. 1 AO in die Gemeinnützigkeit wechseln. Nicht abschließend geklärt ist, ob bei einem solchen Wechsel Mittel, soweit sie nicht nutzungsgebundenes Vermögen werden, dem Gebot der zeitnahen Mittelverwendung unterliegen (m.E. zu verneinen).
Gemeinnützigkeit von letztwillig errichteten Stiftungen
Die Finanzverwaltung bestätigt die Anwendung der BFH-Rechtsprechung, wonach von Todes wegen errichtete rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts grundsätzlich erst ab Anerkennung der Stiftung und nicht bereits ab dem Erbfall wegen Gemeinnützigkeit steuerbegünstigt sein können. Eine zeitliche Vorverlagerung soll nur möglich sein, wenn bereits im Erbfall eine „ordnungsgemäße“ Satzung vorliegt – nach hiesigem Verständnis also nur, wenn das Finanzamt die (nach dem Erbfall von der Stiftungsaufsicht anerkannte) Satzung für gemeinnützigkeitskonform befindet.
Organisationsleistungen von Sportdachverbänden
Die Zweckbetriebseigenschaft entgeltlicher Organisationsleistungen von Sportdachverbänden setzt voraus, dass an einer sportlichen Veranstaltung, auf die sich die Organisationsleistung bezieht, nicht mehr als 50 % „Lizenzsportler“ teilnehmen (§ 67a Abs. 4 Satz 1 AO). Der Begriff „Lizenzsportler“ knüpft an verbandsrechtliche Grundlagen an, auf die Vergütung kommt es hingegen nicht an. Bei einem Ligawettbewerb bilden sämtliche Ligaspiele kraft Gesetzes eine einheitliche sportliche Veranstaltung (§ 67a Abs. 4 Satz 2 AO) – dies im Unterschied zur Beurteilung der Zweckbetriebseigenschaft bei einem am Ligawettbewerb teilnehmenden Verein, wo die Finanzverwaltung auf jedes einzelne Ligaspiel abstellt.
Inklusionsbetriebe
Die Finanzverwaltung nimmt bei der Überprüfung der Voraussetzungen für das Vorliegen eines Zweckbetriebs „Inklusionsbetrieb“ (§ 68 Nr. 3 Buchst. c AO) verstärkt Bezug auf die sozialrechtlichen Grundlagen. Er betont die Unterscheidung zwischen Inklusionsunternehmen, -betrieben und -abteilungen (siehe § 215 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). An diese unterschiedlich zugeschnittenen Einheiten knüpft die Prüfung der im Gesetz angelegten Mindestquote von 40 % für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung oder diesen gleichgestellten Menschen an. Menschen, für die dem Einrichtungsträger eine Förderung nach § 61 oder § 61a SGB IX (Budget für Arbeit beziehungsweise für Ausbildung) gewährt wird, sind bei der Quotenberechnung einzubeziehen. Teilzeitbeschäftigte mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens 18 Stunden sind grundsätzlich voll zu berücksichtigen, Menschen mit Schwerbehinderung und gleichgestellte Menschen mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens zwölf Stunden ausnahmslos.
Allgemeine Anwendung von BFH-Urteilen
Die Finanzverwaltung übernimmt eine Reihe von Urteilen des Bundesfinanzhofs der vergangenen Jahre. Hier eine Auswahl mit thematischem Schwerpunkt:
- Keine Förderung der Allgemeinheit, wenn ein Leistungsentgelt so hoch bemessen ist, dass der Kreis der Leistungsempfänger nicht mehr als Ausschnitt der Allgemeinheit angesehen werden kann (vom BFH entschieden für den Träger einer Privatschule, dies unter Berücksichtigung der Vergabe von Stipendien von Schülern aus wirtschaftlich schwächeren Familien)
- Angemessenheit der Vergütung von Mitgliedern der Organe gemeinnütziger Körperschaften (dazu Kirchhain/Kampermann, Blog-Beitrag vom 24. August 2020)
- Im Lichte des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebots keine Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei lediglich „geringfügigen“ Verstößen gegen gemeinnützigkeitsrechtliche Vorschriften
- Gewinnermittlung bei Vermietung von Standflächen anlässlich einer gemeinnützigen Veranstaltung (z.B. eines wissenschaftlichen Kongresses oder eines Ligaspiels im Jugend-/Amateurbereich)
- Zuordnung von Tätigkeiten von Ärzten außerhalb der arbeitsvertraglichen Pflichten zum Zweckbetrieb Krankenhaus (§ 67 AO).