Neues zur erbschaft- und schenkungsteuerlichen Begünstigung von Betriebsvermögen – Ländererlass schafft Klarheit zum 90%-Test

11.07.2024 | FGS Blog

Wer sein Unternehmen oder Anteile daran vererbt oder verschenkt, kann unter bestimmten Voraussetzungen von den Betriebsvermögensverschonungsregeln gemäß §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG profitieren. Damit lässt sich eine deutliche Senkung der Erbschaft- und Schenkungsteuerlast erreichen – u. U. sogar bis auf null Euro. Hierdurch will der Gesetzgeber verhindern, dass operatives Betriebsvermögen und die damit verbundenen Arbeitsplätze im Zuge des Generationenwechsels durch hohe Steuerlasten in ihrer Existenz bedroht werden. Um jedoch eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Betriebsvermögensverschonung zu vermeiden, hat der Gesetzgeber ein kompliziertes Regelwerk geschaffen, das vielfältige Rechtsunsicherheiten mit sich bringt. Ein neuer Verwaltungserlass der Bundesländer schafft insofern etwas Klarheit (Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19.6.2024 – Verwaltungsvermögensquote nach § 13b Absatz 2 Satz 2 ErbStG (90-%-Test); Konsequenzen aus dem BFH-Urteil vom 13. September 2023 - II R 49/21).

Der 90%-Test

Eine wichtige Hürde, die es bei der Betriebsvermögensverschonung zu nehmen gilt, ist der sogenannte 90%-Test (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Er besagt, dass die Betriebsvermögensverschonung insgesamt nicht in Anspruch genommen werden kann, wenn die in dem Betriebsvermögen vorhandenen Finanzmittel (z.B. Bargeld, Bankguthaben, Forderungen etc.) und das sonstige Verwaltungsvermögen (z.B. Wertpapiere, Kunst) zusammen mehr als 90% des Unternehmenswerts betragen. Nach bisheriger Auffassung der Finanzverwaltung waren bei der Durchführung des 90%-Tests die Finanzmittel als Bruttogröße anzusetzen, d.h. ohne vorherige Saldierung mit vorhandenen Schulden. Dies konnte insbesondere bei Handelsunternehmen, die typischerweise über hohe Bestände an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen verfügen, zu einer Überschreitung der 90%-Grenze führen. Auch Quoten von deutlich über 100% waren denkbar.

Damit hing die Frage, ob die Betriebsvermögensverschonung zu gewähren ist, oftmals von Zufälligkeiten ab. Denn hätte das betroffene Unternehmen die vorhandenen Finanzmittel noch vor der Schenkung bzw. dem Erbfall zur Tilgung offener Schulden eingesetzt, wären sie beim 90%-Test nicht mehr zu berücksichtigen gewesen. Damit begegnete der 90%-Test von Beginn an erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. bereits Finanzgericht Münster, Urteil vom 24.11.2021 – 3 K 2174/19 Erb).

Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 13.9.2023 (Az.: II R 49/21) entschieden, dass der 90%-Test dahingehend verfassungskonform auszulegen ist, dass bei Handelsunternehmen, deren „Hauptzweck“ einer operativen Tätigkeit dient, die vorhandenen Finanzmittel vor Anwendung des 90%-Tests mit den vorhandenen Schulden zu verrechnen sind. Diese Entscheidung stieß zwar verbreitet auf Zustimmung, allerdings ließ sie einige Fragen offen. Insbesondere war unklar, was der BFH unter „Handelsunternehmen“ verstanden wissen wollte und welche Anforderungen im Einzelnen an den „Hauptzwecktest“ zu stellen sind.

Gleich lautende Erlasse der Länder vom 19.6.2024, S 3812b

Mit den gleich lautenden Erlassen vom 19.6.2024 schafft die Finanzverwaltung nun teilweise Klarheit. Erfreulich ist dabei, dass die vom BFH gefundene verfassungskonforme Auslegung nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht auf Handelsunternehmen beschränkt sein soll. Die Frage, was genau der BFH mit „Handelsunternehmen“ gemeint haben könnte, erübrigt sich damit. Zudem soll das BFH-Urteil für sämtliche Arten von begünstigungsfähigem Vermögen anzuwenden sein, also nicht nur für Kapitalgesellschaftsanteile, sondern beispielsweise auch gewerbliche Personengesellschaften und Einzelunternehmen (§ 13b Abs. 1 ErbStG).

Zu prüfen bleibt jedoch, ob das übertragene Betriebsvermögen nach seinem „Hauptzweck“ einer operativen Tätigkeit dient (Land- und Forstwirtschaft, originäre gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit). Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen hierbei die zu § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 4 ErbStG getroffenen Feststellungen übernommen werden können (Ausschluss des 15%-Sockelbetrags bei fehlendem „Hauptzweck“). Das ist deshalb nicht unproblematisch, weil sich auch bei dem Hauptzwecktest nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 4 ErbStG diverse Anwendungsfragen ergeben, insbesondere was die Gewichtung der einzelnen Tätigkeiten und Konzerngesellschaften anbelangt. Diese Anwendungsfragen werden nun in den 90%-Test importiert und gewinnen so weiter an Bedeutung.

Auffällig ist auch, wie die Finanzverwaltung bei der Durchführung des 90%-Tests mit jungen Finanzmitteln umgehen will. Als junge Finanzmittel wird der Saldo der innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Erbfall bzw. der Schenkung eingelegten und entnommenen Finanzmittel bezeichnet. Junge Finanzmittel zählen stets zum steuerschädlichen Verwaltungsvermögen. Dadurch soll verhindert werden, dass kurz vor dem Besteuerungszeitpunkt Finanzmittel in das begünstigungsfähige Betriebsvermögen transferiert werden, um „im Gewand“ des Unternehmens steuerbegünstigt übertragen zu werden.

Der BFH hatte die jungen Finanzmittel in seinem Urteil vom 13.9.2023 noch in die Schuldenverrechnung einbezogen. Wörtlich heißt es dort: „Bei der Anwendung des 90 %-Einstiegstests nach § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG sind nach der von dem Senat vorgenommenen Auslegung von der Summe der gemeinen Werte der Finanzmittel iHv 2.517.649 EUR zuzüglich der Summe der gemeinen Werte der jungen Finanzmittel iHv 60.000 EUR die im Feststellungsbescheid v. 13.1.2023 ebenfalls festgestellten Schulden iHv 3.138.504 EUR abzuziehen, so dass keine steuerschädlichen Finanzmittel vorliegen.“ Dazu ist anzumerken, dass es der Hinzurechnung der jungen Finanzmittel nicht bedurft hätte, da diese bereits in den Finanzmitteln enthalten sind. Klar wird aber, dass der BFH auch die jungen Finanzmittel in die Schuldenverrechnung einbeziehen wollte.

Demgegenüber nimmt die Finanzverwaltung die jungen Finanzmittel nun von der Schuldenverrechnung im Rahmen des 90%-Tests aus.

Die gleich lautenden Erlasse sehen hierzu das folgende Berechnungsschema vor: 

festgestellter Wert der Finanzmittel (einschließlich junger Finanzmittel)

./. junge Finanzmittel

= Zwischenwert I, mindestens Euro 0

./. festgestellter Wert der Schulden

= Zwischenwert II, mindestens Euro 0

+ festgestellter Wert der jungen Finanzmittel

= im Rahmen des 90%-Tests anzusetzender Wert der Finanzmittel

+ festgestellter Wert des sonstigen Verwaltungsvermögens (einschließlich jungen Verwaltungsvermögens)

= Verwaltungsvermögen für den 90%-Test


Dass die Finanzverwaltung die jungen Finanzmittel ausklammert, scheint auf dem Gedanken des § 13b Abs. 8 ErbStG zu beruhen, der eine Verrechnung der jungen Finanzmittel mit Schulden ausschließt. Mit der Entscheidung des BFH vom 13.9.2023 verträgt sich das Schema der Finanzverwaltung jedoch nicht.

Fazit

Die gleich lautenden Erlasse vom 19.6.2024 klären wichtige Anwendungsfragen, die nach der BFH-Entscheidung vom 13.9.2023 offengeblieben waren, und schafft so zusätzliche Rechtssicherheit für die Unternehmensnachfolgeplanung. Die Frage, ob das Betriebsvermögen nach seinem „Hauptzweck“ einer operativen Tätigkeit dient, dürfte in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.