Neues Spiel, neues Glück – was der Koalitionsvertrag für die Zivilgesellschaft vorsieht

09.04.2025 | FGS Blog

Gestern haben CDU, CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag für die neue Legislaturperiode mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ veröffentlicht. Dieser enthält auch Aussagen und Vorhaben, die für die Zivilgesellschaft einschließlich gemeinnütziger Organisationen relevant sind. Wir fassen die zentralen Vorhaben zusammen:

  • Die Koalition betont die hohe Bedeutung der Zivilgesellschaft und ehrenamtlichen Engagements – Ehrenamt soll „Freude bereiten“ und „mehr Anerkennung erfahren“. Dieses Bekenntnis soll künftig in Person eines Staatsministers für Sport und Ehrenamt im Bundeskanzleramt institutionalisiert werden.
  • Ehrenamtliches Engagement für junge Menschen soll attraktiver gemacht, die Vereinbarkeit von Familie und Ehrenamt verbessert werden. Für den Freiwilligendienst und das Freiwillige Soziale Jahr sollen mehr Stellen und mehr Finanzmittel für ein höheres Taschengeld zur Verfügung gestellt werden. Die Arbeit der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt soll „ausgebaut“ werden.
  • Ein guter, wenn auch noch recht vager Vorsatz: Es soll ein „Zukunftspaket Ehrenamt“ geschnürt werden. Das Gemeinnützigkeits-, das Vereinsrecht und das „Zuwendungsrecht“ sollen „vereinfacht“ werden. Der Titel „Bürokratierückbaugesetz für Vereine und ehrenamtliches Engagement“ klingt verheißungsvoll – aber abwarten, auch die Ankündigungen der „Ampel“ im Koalitionsvertrag 2021 waren vollmundig. Schritte in die richtige Richtung: Konkret genannt werden eine „Verbesserung“ des Haftungsprivilegs und datenschutzrechtliche Entlastungen für ehrenamtlich Tätige.
  • Einige Bereiche des Dritten Sektors werden im Koalitionsvertrag mehr oder weniger ausführlich behandelt. Recht vage: Die Entwicklungszusammenarbeit u. a. gemeinnütziger Organisationen soll „gefördert“ werden. Erfreulich konkret sind die Vorhaben in den Bereichen Kultur (Zeilen 3818 ff.) und Sport (Zeilen 3694 ff). Im Bereich der Wohlfahrtspflege soll die „Wohngemeinnützigkeit“ – im vergangenen Jahr durch die „Ampel“ neu eingeführter gemeinnütziger Katalogzweck – mit Investitionszuschüssen „ergänzt“ werden.
  • Ebenfalls recht vage: Der Katalog der gemeinnützigen Zwecke soll „modernisiert“ werden. Konkret genannt wird die Förderung des eSports. Zur besseren flächendeckenden Versorgung mit journalistischen Angeboten soll „mit Blick auf die Gemeinnützigkeit Rechtssicherheit“ geschaffen werden – ein Hinweis auf die Einführung eines neuen gemeinnützigen Katalogzwecks „Förderung des investigativen Journalismus“?
  • Der gesetzliche Dispens vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung soll auf alle Körperschaften erweitert werden, deren jährliche Einnahmen 100.000 Euro (bislang 45.000 Euro) nicht übersteigen – ein erfreulicher Beitrag zum Bürokratieabbau. Damit ist das heftig kritisierte Vorhaben der „Ampel“, das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung und sämtliche hieran anknüpfenden Regelungen zu streichen, vom Tisch.
  • Die betragsmäßige Freigrenze, die gemeinnützige Organisationen davon befreit, das steuerliche Ergebnis (Gewinn/Verlust) sämtlicher steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetriebe ermitteln zu müssen (jährliche Einnahmen einschließlich Umsatzsteuer), soll von derzeit 45.000 Euro auf künftig 50.000 Euro erhöht werden.
  • Im Lichte der Inflation seit der letzten Anhebung in 2020: Die sog. Übungsleiterpauschale soll von derzeit 3.000 Euro auf künftig 3.300 Euro, die sog. Ehrenamtspauschale von derzeit 840 Euro auf künftig 960 Euro angehoben werden.
  • Lebensmittelverschwendung soll bekämpft, gemeinnützige Organisationen wie die Tafeln sollen „unterstützt“ werden. Insbesondere in diesem Kontext: Sachspenden an gemeinnützige Organisationen sollen möglichst weitgehend von der Umsatzsteuer befreit werden – ein zweiter Anlauf, nachdem die „Ampel“ das gleiche Vorhaben wegen angeblich unionsrechtlicher Bedenken nicht umgesetzt hat.
  • Das Besserstellungsverbot für gemeinnützige Forschungseinrichtungen soll flexibilisiert werden. Zudem sollen u. a. bei der Umsatzsteuer „Bereichsausnahmen für Forschung“ geschaffen werden. Andere Reformvorhaben bei der Umsatzsteuer werden nicht genannt, auch nicht die noch von der „Ampel“ erwogene Erweiterung der Umsatzsteuerbefreiung im Sportbereich.
  • Nach der „Kleinen Anfrage“ der Unionsfraktion mit 501 Fragen zur Gemeinnützigkeit und staatlichen Förderung mehrerer Organisationen sowie der Antwort des Bundesfinanzministeriums nicht überraschend: Keine Aussagen zu Zulässigkeit und Grenzen einer „politischen Betätigung“ gemeinnütziger Organisationen (dazu zuletzt unser Blog-Beitrag vom 10. März 2025).

Fazit: Der Ansatz „stimmt“. Ein sehr zu begrüßendes Bekenntnis zur Bedeutung von Zivilgesellschaft und ehrenamtlichem Engagement, einige erfreuliche konkrete punktuelle Änderungen, ein erster Anstoß zum dringend erforderlichen Abbau überbordend gewordener Bürokratie. Viele Aussagen bleiben – dem Wesen eines Koalitionsvertrags entsprechend – noch vage. Nach den schönen Worten ist vor der praktischen Umsetzung.

Ausblick: Mit Spannung wird abzuwarten sein, mit welchen konkreten Maßnahmen die neue Bundesregierung insbesondere das Gemeinnützigkeits- und das Vereinsrecht zu „vereinfachen“ gedenkt. Auch mit Blick auf die aktuellen Kursstürze an den Aktienmärkten: Kommt die von Wissenschaft und Praxis geforderte und zuletzt vom Bundesrat lancierte „gemeinnützigkeitsrechtliche Business Judgment Rule“, damit einhergehend die Abkehr vom „Verlustausgleichsmechanismus“ aus Sicht ex post? Kommt der lang ersehnte Bürokratie-Befreiungsschlag? Abseits des Parlamentsbetriebs richtet sich der Blick auf die Finanzverwaltung. Welche jüngeren Urteile des Bundesfinanzhofs wird sie im Anwendungserlass zur Abgabenordnung aufnehmen? Aus Sicht der Praxis wären Äußerungen zur Zweckbetriebseigenschaft digitaler Bildungsleistungen – insbesondere im Lichte des § 65 AO – sehr wünschenswert.

Der gesamte Dritte Sektor, Wissenschaft und Praxis sind nun dazu aufgerufen, sich erneut in die Diskussion um gute Vorschläge für die Praxis einzubringen. Neues Spiel, neues Glück!