Mit Urteil in der Rechtssache I R 51/19 vom 21. Februar 2022 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass es sich bei Mehrabführungen, die durch unterschiedliche Wertansätze im Rahmen von Umwandlungsmaßnahmen entstanden sind, nicht um vororganschaftliche Mehrabführungen im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG handelt. Die von der Finanzverwaltung angenommene Fallgruppe der „außerorganschaftlichen“ Mehrabführungen existiere nach dem BFH nicht.

Hintergrund

Sofern sich eine Organgesellschaft durch wirksamen Gewinnabführungsvertrag i.S.d. § 291 Abs. 1 AktG verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft grundsätzlich gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG dem Organträger zuzurechnen und unterliegt dort der Besteuerung. Entsprechendes gilt für die Gewerbesteuer. Liegt eine sogenannte vororganschaftliche Mehrabführung vor, gilt diese jedoch gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG als Gewinnausschüttung der Organgesellschaft an den Organträger.

 

Nun war der 1. Senat des BFH mit der Frage konfrontiert, wie das Tatbestandsmerkmal „vororganschaftlich“ zu interpretieren ist.  Im vorliegenden Fall entstand eine Mehrabführung der  Organgesellschaft an den Organträger (abgeführter Gewinn ist höher als der Gewinn in der Steuerbilanz) dadurch, dass zwei Tochter-Kapitalgesellschaften der Organgesellschaft auf die  Organgesellschaft verschmolzen wurden. Handelsrechtlich wurden beim Übergang der Wirtschaftsgüter stille Reserven aufgedeckt, während für steuerliche Zwecke ein Buchwertansatz gewählt wurde. Die Differenz zwischen dem handelsrechtlichen und steuerlichen Ergebnis auf Ebene der Organgesellschaft stellte eine Mehrabführung der Organgesellschaft an den Organträger dar.

Verwaltungsauffassung

Die Finanzverwaltung vertritt im Umwandlungssteuererlass (BMF-Schreiben vom 11.11.2011, BStBl. I 2011, S. 1314, Rn. Org. 33) bisher die Rechtsauffassung, dass derartige Mehrabführungen als vororganschaftliche Mehrabführungen zu werten seien. Es  handele sich um „außerorganschaftliche“ Mehrabführungen, da die Gründe für das höhere Handelsbilanzergebnis nicht aus dem bestehenden Organschaftsverhältnis resultieren. Auf diese sei § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG entsprechend anzuwenden und die jeweilige Mehrabführung der Dividendenbesteuerung zu unterwerfen.

BFH-Entscheidung

Der BFH hat dieser Auffassung nun eine klare Absage erteilt. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG sei nicht auf „außerorganschaftliche“ Sachverhalte anzuwenden. Der Gesetzeswortlaut sei insoweit eindeutig. Das Tatbestandsmerkmal „vororganschaftlich“ beinhalte lediglich eine zeitliche, nicht jedoch eine sachliche Qualifikation. Auch die Gesetzesmaterialien lieferten keine Gründe, den Anwendungsbereich durch teleologische Extension zu erweitern. Vororganschaftliche Mehrabführungen erfordern, dass sich die ergebende Mehrabführung darin begründet, dass in einem vor der Organschaft liegenden Veranlagungszeitraum ein höheres steuerbilanzielles Ergebnis erzielt wurde, welches in einem Veranlagungszeitraum während des Bestehens der Organschaft durch ein höheres handelsrechtliches Ergebnis „ausgeglichen“ wird. Dies ist beispielsweise bei einer vor der Organschaft gebildeten Drohverlustrückstellung der Fall, die während der Organschaft aufgelöst wird. Hierdurch wird dem Zweck der Vorschrift Rechnung getragen, bereits mit Körperschaftsteuer besteuerte Sachverhalte auch während der Organschaft der Dividendenbesteuerung zu unterwerfen, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt bereits vor der Organschaft verwirklicht wurde.

Einordnung

Kommt es im Rahmen einer Umwandlungsmaßnahme innerhalb einer Organschaft zu Mehrabführungen auf Grund abweichender handelsrechtlicher und steuerlicher Wertansätze, ist diesen nach Auffassung des BFH – jedenfalls für Veranlagungszeiträume bis 2021 – durch Bildung eines passiven organschaftlichen Ausgleichspostens beim Organträger Rechnung zu tragen (§ 14 Abs. 4 KStG), sodass es zu keiner Dividendenbesteuerung kommt.

 

Das Urteil bestätigt die vorherrschende Literaturmeinung, dass § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG keine sachliche, sondern lediglich eine zeitliche Komponente beinhaltet. Es ist höchst fraglich, Mehrabführungen im Rahmen von Umwandlungsvorgängen auf Grund von Wertansätzen zum gemeinen Wert als außerorganschaftlich zu behandeln und damit den Übergang der stillen Reserven des übertragenden Rechtsträgers außerhalb des Organschaftsverhältnisses zu fingieren. Ob die Finanzverwaltung dem BFH folgen und den Umwandlungssteuererlass dementsprechend anpassen wird, bleibt abzuwarten.

Exkurs: KöMoG

Für organschaftliche Mehr- und Minderabführungen in Veranlagungszeiträumen ab 2022 ist die durch das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG) geänderte  Rechtslage zu beachten.

 

Bis zum 31. Dezember 2021 führten organschaftliche Minderabführungen zur Bildung eines aktiven, Mehrabführungen zur Bildung eines passiven organschaftlichen Ausgleichspostens in der Steuerbilanz des Organträgers. Nach dem 31. Dezember 2021 erfolgte organschaftliche Minderabführungen stellen eine Einlage des Organträgers in die Organgesellschaft dar, Mehrabführungen hingegen gelten nach neuer Rechtslage als Einlagenrückgewähr.

 

Zwar setzt eine Einlagenrückgewähr prinzipiell eine vorherige Einlage voraus. Allerdings handelt es sich hierbei um eine gesetzliche Fiktion. So kann eine fiktive Einlagenrückgewähr auch dafür sorgen, dass das steuerliche Einlagekonto negativ wird. Überschreitet die fiktive Einlagenrückgewähr den Beteiligungs-buchwert der Organträgerin, liegt auch nach Auffassung der  Finanzverwaltung ein nach § 8b KStG begünstigter Ertrag vor.