Krank gefeiert? LAG Köln zur Vereinbarkeit von Attest und Karneval

Wenn nach der Karnevalsparty die Kündigung zugestellt wird, ist es mit dem Spaß schnell vorbei. Die Frage, ob ein Arbeitnehmer rechtswirksam gekündigt werden kann, wenn er trotz Krankschreibung auf einer Karnevalsparty gesehen wurde, beschäftigte jüngst das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln (Urt. v. 21. Januar 2025 – 7 SLa 204/24). In dem Verfahren ging es gleich um drei Kündigungen. Das Ergebnis: Keine davon hielt vor Gericht stand.
In Bezug auf den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers ist die Situation für Arbeitgeber seit jeher schwierig. In letzter Zeit hatten mehrere Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) allerdings Hoffnung auf eine arbeitgeberfreundlichere Linie der Gerichte beim Thema Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geweckt. Deren Beweiswert sah das BAG beispielsweise in einem Fall als erschüttert an, in dem ein Arbeitnehmer sich im Zusammenhang mit einem Urlaub in Tunesien vor Ort krankschreiben ließ und während der verordneten Ruhezeit die Heimreise mit dem Auto antrat (Urt. v. 15. Januar 2025 - 5 AZR 284/24). Auch die „passgenaue“ Krankschreibung bis zum Ende der Kündigungsfrist (vgl. zuletzt BAG, Urt. vom 18. September 2024 – 5 AZR 29/24) kann in die Gesamtbewertung einfließen und den Beweiswert erschüttern.
Ein ständiger Zankapfel in diesem Zusammenhang ist das sog. „genesungswidrige Verhalten“, bei dem der Arbeitnehmer Aktivitäten ausführt, die mit der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht vereinbar zu sein scheinen. Noch im Jahr 2024 hatte das LAG Berlin-Brandenburg einem Arbeitgeber Recht gegeben, dessen Arbeitnehmer als Schiedsrichter bei einem Handballspiel sportlich aktiv geworden war (Urt. v. 5. Juli 2024 – 12 Sa 1266/23). Das LAG Köln setzt nun allerdings ein klares Zeichen in die andere Richtung: Die Hürden für eine Kündigung wegen vermeintlich vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit bleiben weiter hoch – auch wenn der Arbeitnehmer während der Krankschreibung öffentlich feiert.
Ein Logistikmitarbeiter legte seiner Arbeitgeberin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum von Montag bis Freitag vor. Am Freitagabend nahm der Arbeitnehmer allerdings am sog. „Mobilmachungsappell“ seines Karnevalsvereins teil. Nur einige Wochen später war er erneut bis einschließlich Freitag krankgeschrieben, marschierte aber ausweislich eines Videos schon am Donnerstag in voller Uniform bei einem sog. „Generalkorpsappell“ in einen Festsaal ein. Die Arbeitgeberin warf ihm daher vor, seine Erkrankungen nur vorgetäuscht zu haben. Der Arbeitnehmer hatte vorgetragen, er sei jeweils an einem akuten Atemwegsinfekt erkrankt gewesen. Bei Besuch der ersten Veranstaltung seien seine Symptome bis auf den Husten und eine leichte Erschöpfung nicht mehr vorhanden gewesen. Die zweite Veranstaltung habe er besucht, um seine Belastungsfähigkeit zu testen.
Das LAG Köln gab dem Arbeitnehmer Recht. Keine der ausgesprochenen Kündigungen hielt einer rechtlichen Prüfung stand.
Im Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber den Kündigungsgrund – hier die angebliche Krankheitssimulation – darlegen und beweisen. Der Arbeitnehmer muss daraufhin erklären, warum sein Fehlen entgegen dem Vortrag des Arbeitgebers entschuldigt war („sekundäre Darlegungslast“). Mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt der Arbeitnehmer dieser Verpflichtung zunächst ausreichend nach, denn ein ärztliches Attest besitzt im Arbeitsrecht einen hohen Beweiswert. Kann der Arbeitgeber jedoch konkrete Umstände vorbringen, die ernsthafte und objektive Zweifel an der attestierten Arbeitsunfähigkeit begründen, kann dies den Beweiswert der Bescheinigung erschüttern.
Das LAG Köln entschied, dass die Teilnahme an einer Karnevalsveranstaltung am Abend des letzten Tages der Krankschreibung zur Erschütterung des Beweiswertes nicht ausreiche. Sofern ein Arzt die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach einem Kalenderdatum bestimme, sei der Arbeitnehmer nach dem Ende der betriebsüblichen Arbeitszeit im Betrieb des Arbeitgebers am letzten umfassten Kalendertag nicht mehr krankgeschrieben.
Anders lag der Fall bei der zweiten Veranstaltung, die innerhalb des Krankschreibungszeitraums stattfand. Durch den „Videobeweis“ gelang es dem Arbeitgeber zunächst, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Daher musste der Arbeitnehmer seine Erkrankung auf anderem Wege darlegen. Er entband seinen Arzt von der Schweigepflicht, der die Diagnose bestätigte und versicherte, dass die Teilnahme an der Feier die Genesung des Arbeitnehmers nicht gefährdet habe. Das LAG Köln wies darauf hin, dass die Grenze zwischen Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit bei einem Atemwegsinfekt ohnehin fließend und subjektiv geprägt sei. Der Arbeitgeber habe das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit daher nicht konkret darlegen und beweisen können. Die Wirksamkeit der ebenfalls ausgesprochenen Verdachtskündigung scheiterte mangels ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung.
Auch wenn die Teilnahme an einer Karnevalsveranstaltung auf den ersten Blick im Widerspruch zu einer Krankschreibung stehen mag, kommt es auf die genaue Erkrankung und die jeweiligen Umstände an. Der Ausspruch einer Kündigung sollte daher stets gut überlegt und vorbereitet werden. Im Zweifel sollte die Kündigung zudem stets hilfsweise als Verdachtskündigung unter Einhaltung aller dafür geltenden Schritte erklärt werden.
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