Die neue EU-Prospektverordnung legt vom 21.07.2018 an die Schwelle für die Prospektpflicht bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren im Europäischen Wirtschaftsraum auf 1 Million Euro fest. Allerdings räumt die Verordnung, die am 20.07.2017 bereits teilweise in Kraft getreten ist, den Mitgliedstaaten Spielräume für Ausnahmen ein: Sie können u.a. öffentliche Wertpapierangebote ohne Europäischen Pass mit einem Volumen von bis zu 8 Millionen Euro (jährlich) von der Prospektpflicht befreien. Außerdem können die Mitgliedstaaten vorsehen,  dass CRR-Kreditinstitute und Emittenten, deren Aktien bereits zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, weder einen Prospekt noch ein Wertpapier-Informationsblatt für öffentliche Wertpapierangebote veröffentlichen müssen, wenn der Verkaufspreis weniger als 5 Millionen Euro p.a. beträgt.

Der Regierungsentwurf vom 11.04.2018

Das Bundeskabinett möchte hiervon Gebrauch machen und hat am 11.04.2018 den Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze“ vorgelegt:

 

Danach soll zum einen u.a. das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) geändert werden. Künftig sollen Anbieter von Wertpapieren statt eines Prospekts nur ein sog. Wertpapier-Informationsblatt veröffentlichen müssen, wenn das öffentliche Angebot einen Gesamtgegenwert von mind. 100.000 Euro, aber weniger als 8 Millionen Euro erreicht.  Bei prospektfreien Angeboten ab 1 Million Euro p.a. sind außerdem bestimmte Einzelanlageschwellen als Obergrenzen für sog. nicht qualifizierte Anleger  zu beachten.

 

CRR-Kreditinstitute und Emittenten, deren Aktien bereits zum Handel am organisierten Markt zugelassen sind, sollen bei einem öffentlichen Wertpapierangebot mit einem Gesamtgegenwert von weniger als 5 Millionen Euro p.a. auch künftig weder zur Veröffentlichung eines Prospekts noch eines Wertpapier-Informationsblatts verpflichtet sein.

Kritische Bewertung durch Giedinghagen und Zöllter in „Die Aktiengesellschaft“

In einem aktuellen Beitrag der Zeitschrift „Die Aktiengesellschaft“ (AG 2018, R 136) setzen sich Jan Giedinghagen und Irka Zöllter kritisch mit dem Regierungsentwurf auseinander und treffen erste Bewertungen. Dabei eruieren Giedinghagen und Zöllter insbesondere, ob der Gesetzesentwurf tatsächlich – wie von der Bundesregierung angestrebt – den Zugang zum Kapitalmarkt für kleine und mittlere Unternehmen erleichtert.

 

Dies ist insbesondere deshalb fraglich, da die geplante neue Prospektfreiheit für öffentliche Angebote von bis zu 8 Mio. Euro nur unter Einschränkungen gilt, wenn sich das öffentliche Angebot auch an sog. nicht-qualifizierte Anleger richtet. Bemerkbar macht sich dies u.a. bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen, bei denen es sich seit Änderung der Verwaltungspraxis in 2012 grundsätzlich um öffentliche Angebote handelt. Denn hier wird der Emittent in der Regel nicht ausschließen können, dass auch nicht qualifizierten Anlegern als Aktionären Bezugsrechte mit Volumina zustehen, die die jeweilige Einzelanlagegrenze überschreiten.

 

Darüber hinaus würde nach dem Regierungsentwurf eine bislang bestehende Erleichterung für börsennotierte Unternehmen entfallen. Diese dürften bei Emissionen mit einem Gesamtgegenwert von weniger als 5 Mio. Euro p.a. die öffentlich angebotenen Aktien künftig nicht mehr prospektfrei zum Handel im organisierten Markt zulassen. Für eine prospektfreie Zulassung dieser Aktien bliebe dann wohl nur noch die neue, bereits in Kraft getretene Regelung in der ProspektVO 2017. Danach können bis zu 20 % der Anzahl der bislang zugelassenen Aktien prospektfrei zugelassen werden. Damit wären jedenfalls bei kleineren Emissionen auch in Zukunft sowohl das öffentliche Angebot als auch die Zulassung neuer Aktien bis zu einem bestimmten Schwellenwert prospektfrei möglich, jedoch abhängig von der jeweiligen Höhe des Grundkapitals des Emittenten.

Umsetzung der Änderungen zur Prospektpflicht bis 21.07.2018

Der Regierungsentwurf ist zwischenzeitlich dem Bundesrat und dem Bundestag zugeleitet worden (vgl. BT-Drs. 19/2435 v. 01.06.2018). Die Regelungen sollen zum 21.07.2018, d.h. zeitgleich mit dem Anwendungsbeginn der zweiten Stufe der ProspektVO 2017, in Kraft treten. Daher ist zu erwarten, dass das Gesetzgebungsverfahren zügig abgeschlossen wird.