Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Zinsen und Substanzerfordernisse nach der Anti-Treaty-Shopping-Regelung

22.10.2019

Die Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG zur Verhinderung einer missbräuchlichen Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Dividenden und Zinsen ist stark umstritten. Der EuGH hat zwischenzeitlich deren Europarechtswidrigkeit insb. bei EU-Dividenden festgestellt.

 

Nunmehr hat das FG Köln mit Urteil vom 23.1.2019 entschieden, dass § 50d Abs. 3 EStG a.F. lediglich im beschränkten Maße auf Zinsen im DBA-Kontext anzuwenden ist. Dies wurde bereits für EU-Dividenden anerkannt. Die Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH sind somit auch auf Zinsen anzuwenden . Die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Zinsen ist daher auch dann zu gewähren, wenn eine verbundene Managementgesellschaft dem ausländischen Zinsempfänger die benötigte Substanz "vermittelt".

Hintergrund zur Anti-Treaty-Shopping-Regelung

Gewinnausschüttungen und Zinsen eines deutschen Unternehmens an einen ausländischen Zahlungsempfänger unterliegen zunächst der Kapitalertragsteuer i.H.v. bis zu 25% zzgl. Solidaritätszuschlag. Der ausländische Zahlungsempfänger kann jedoch auf Basis der EUZ ins- und Lizenzrichtlinie oder Art. 11 eines anwendbaren DBA einen Anspruch auf Entlastung von Kapitalertragsteuer haben.

 

Nach § 50d Abs. 3 EStG hat ein ausländischer Zahlungsempfänger gleichwohl nur einen Anspruch auf Quellensteuerentlastung, soweit

  • an ihr Personen beteiligt sind, denen die Erstattung auch zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, oder
  • die vom ausländischen Zahlungsempfänger erzielten Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen oder
  • in Bezug auf die nicht eigenwirtschaftlichen Erträgen (i) für die Einschaltung des ausländischen Zahlungsempfängers wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe bestehen und (ii) die ausländische Gesellschaft mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

Der EuGH hat zwischenzeitlich entschieden, dass die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG in Bezug auf EU-Schachteldividenden europarechtswidrig ist (dazu Christian Kahlenberg im Blog). Hierzu hat auch das Bundesministerium der Finanzen Stellung bezogen (Link).

Streitfall

Die Geschäftstätigkeit der Klägerin, eine zypriotische Kapitalgesellschaft, liegt im Erwerben und Halten von Beteiligungen an Schifffahrtsunternehmen. Die Klägerin war in den Streitjahren lediglich zu 15% an einer in Deutschland ansässigen AG beteiligt. Die zypriotische Klägerin hatte darüber hinaus Wandelanleihen der deutschen AG gezeichnet. Die Wandelanleihen wurden jährlich zu 5,5% verzinst.

 

Die Geschäftstätigkeiten der Klägerin wurden auftragsgemäß von einem verbundenen Unternehmen ausgeübt. Diese Managementgesellschaft war ebenfalls auf Zypern ansässig. Sie beschäftigte dort eigenes Personal und nutzte Büroräumlichkeiten vor Ort, die mit den benötigten Kommunikationsmitteln ausgestattet waren. Die Klägerin selbst nutzte die Büroräumlichkeiten der Managementgesellschaft.

 

Die Klägerin beantragte nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. Art. 11 DBA-Zypern beim Bundeszentralamt für Steuern die Erstattung von Kapitalertragsteuer i.H.v. 15% auf die erzielten Zinserträge für die Streitjahre 2010 und 2011. Das Bundeszentralamt für Steuern lehnte die Erstattung ab, und zwar mit Verweis auf die Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG a.F.

Beschränkte Steuerpflicht von Zinsen aus Wandelanleihen

Das FG Köln bejahte in seinem Urteil vom 23.1.2019 (2 K 1315/13) zunächst die beschränkte Steuerpflicht der zypriotischen Klägerin in Deutschland mit den Zinsen aus den Wandelanleihen. Die beschränkte Steuerpflicht der Zinsen vor dem Wandlungsvorgang soll sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG ergeben. Dies wird mit dem Wortlaut der Norm, der Gesetzessystematik und der Gesetzeshistorie begründet. Allerdings ist genau diese Frage nunmehr beim BFH unter dem Aktenzeichen I R 6/18 anhängig.

Anspruch auf Entlastung von Kapitalertragsteuer nach DBA-Zypern

Darüber hinaus bejahte das FG Köln einen Erstattungsanspruch der zypriotischen Klägerin i.H.v. 15% der erzielten Zinsen. Der Erstattungsanspruch ergibt sich aus § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. Art. 11 DBA-Zypern.

 

Nach Ansicht des FG Köln steht die Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG dem nicht entgegen, obwohl die zahlungsempfangene Klägerin über keine eigene Substanz verfügte. Hierzu im Einzelnen:

Begrenzung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung

Die Versagung der Kapitalertragssteuerentlastung durch das Bundeszentralamt für Steuern wird zu Recht vom FG Köln abgelehnt. Vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 v. 13.12.2006 wendet das FG Köln diese Vorschrift nicht uneingeschränkt an. Stattdessen nimmt es eine geltungserhaltende Reduktion vor.

 

Denn nach Ansicht des EuGH im Urteil vom 20.12.2017 (Rs. C-504/16, C-613/16, Deister Holding/Juhler Holding) dient die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG nicht ausschließlich der Verhinderung von rein künstlichen Gestaltungen ohne jedweden wirtschaftlichen Gehalt, die lediglich zu dem Zweck errichtet werden, ungerechtfertigte Steuervorteile zu nutzen. Die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG enthält lediglich eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung anhand vorgegebener allgemeiner Kriterien. Dies bedeutet, dass sie dem ausländischen Zahlungsempfänger keine Möglichkeit gibt, das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe nachzuweisen. Das Unionsrecht gebietet es jedoch, einen Gegenbeweis zu führen, wonach im Einzelfall doch kein Missbrauch vorliegt.

 

Ausgehend von den vom EuGH entwickelten Grundsätzen ist eine Erstattung der Kapitalertragsteuer nicht allein deshalb zu versagen ist, weil der ausländische Zahlungsempfänger über keinen eigenen, angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt. Denn die Unternehmensgruppe, welcher die Klägerin angehört, hatte auch eine zypriotische Managementgesellschaft, deren Tätigkeit frei von jedweden Missbrauchszweifeln ist. Denn sie ist auf Dauer angelegt und verfügte über einen eigenen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb in Form von eigenen Büroräumen und Personal. Sie übte mithin eine aktive Wirtschaftstätigkeit aus. Dies reicht nach Ansicht des FG Köln für einen Erstattungsanspruch zugunsten der Klägerin aus.

Kein Verbot der Merkmalsübertragung

Das FG Köln weist auch auf die BFH-Rechtsprechung zur Vorgängerregelung des § 50d Abs. 3 EStG a.F. hin (vgl. BFH vom 31.05.2005, I R 74/04, sog. Hilversum II-Entscheidung, BStBI II 2006, 118): Bei vermögensverwaltenden Zwischengesellschaften kann nicht von einer missbräuchlichen Gestaltung ausgegangen werden, wenn aufgrund der Dauerhaftigkeit und Funktion der Gesellschaft nicht anzunehmen ist, dass der Bezug von Erträgen von einer deutschen Gesellschaft gerade bei dieser Zwischengesellschaft nur aus steuerlichen Gründen erfolgt. Da die Klägerin und die aktiv tätige, substanzhaltige Schwestergesellschaft auf Dauer angelegt sind, liegt kein Rechtsmissbrauch vor.

 

Das Verbot der Merkmalsübertragung des § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG steht dem nicht entgegen. Denn im Lichte der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit und der Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH ist die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG geltungserhaltend auszulegen. Das Verbot der Merkmalsübertragung ist insbesondere in Konstellationen wie im Streitfall geltungserhaltend einzuschränken. Somit kann auch auf die Verhältnisse der aktiv tätigen, substanzhaltigen Schwestergesellschaft der Klägerin zugerechnet werden.

Implikation

Das FG Köln hatte sich mit der Anwendung der EuGH-Rechtsprechung zu der Anti-Treaty-Shopping-Regelung i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 vom 13.12.2006 und in Bezug auf Zinsen (aus Wandelanleihen) auseinanderzusetzen. Die Schlussfolgerungen des FG Köln sind für Steuerpflichtige vorteilhaft. Sie sollten auch in Bezug auf die aktuelle Fassung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung gelten, die der EuGH ebenfalls für europarechtswidrig hält.

 

Die Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG setzt eine gewisse Substanz im Ansässigkeitsstaat des Zinsempfängers voraus. Das FG Köln geht von einer hinreichenden Substanz aus, wenn im Ansässigkeitsstaat des Zinsempfängers

  • Büro- oder Geschäftsräume,
  • Personal, und
  • Kommunikationsmittel

eingesetzt werden. Das FG Köln stellt hingegen nicht auf die Qualifikation des Personals ab. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass das zinsempfangende Unternehmen selbst über entsprechende Substanz verfügt. Vielmehr reicht es aus, wenn (irgend-)ein verbundenes Unternehmen über entsprechende Substanz verfügt und im gleichen Land ansässig ist. Außerdem dürften keine zu hohen Anforderungen an die Substanz von rein vermögensverwaltenden Gesellschaften gestellt werden. Im Urteilsfall wurden darüber hinaus Dienstleistungen von dem verbundenen, substanzstarken Unternehmen an das zinsempfangende, substanzschwache Unternehmen erbracht. Allerdings dürfte es für die Beurteilung des Vorhandenseins von hinreichender Substanz in einm Land nicht darauf ankommen, dass zwischen den verbundenen Unternehmen gewisse Dienstleistungen erbracht.