Der EuGH hat mit Urteil vom 11. Juli 2024 (Az. C-184/23, S/FA T II) entschieden, dass Umsätze innerhalb der Organschaft nicht umsatzsteuerbar sind. Dies gilt selbst dann, wenn ein Vorsteuerabzug bei dem Empfänger der Leistung ohne Organschaft nicht möglich wäre.

Entscheidung wurde mit Spannung erwartet

Die Entscheidung wurde in der umsatzsteuerlichen Fachwelt mit großer Spannung erwartet und gibt Anlass zu einem kurzen Rückblick. Schließlich dürfte das Urteil einen Schlusspunkt der in den letzten Jahren vieldiskutierten Frage darstellen, ob das deutsche Verständnis der Rechtsfolgen einer umsatzsteuerlichen Organschaft unionsrechtskonform ist.

Nachdem der EuGH bereits mehrfach zu den Tatbestandsmerkmalen der deutschen Organschaft entschieden hatte, wurde die Diskussion der Rechtmäßigkeit der Rechtsfolgen der Organschaft insbesondere durch die Schlussanträge der Generalanwältin am EuGH Medina vom 13. Januar 2022 in der Rechtssache Norddeutsche Diakonie (C-141/20) stark angezweifelt. Sie hielt das deutsche Verständnis der Organschaft für unionsrechtswidrig.

Mit besonderer Aufmerksamkeit dürfte das nun entschiedene Verfahren insbesondere auch von Unternehmen mit eingeschränktem Vorsteuerabzug, insbesondere auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und gemeinnützige Körperschaften aber auch Banken und Versicherungen, beobachtet worden sein. Die Steuerbarkeit von Innenleistungen würde für sie wohl das Ende der Organschaft als beliebtes Gestaltungsinstrument bedeuten.

Hintergründe des Verfahrens

Die Klägerin ist eine Stiftung öffentlichen Rechts, die als Organträgerin von einer Organgesellschaft gegen Entgelt Leistungen bezogen hatte, die sie zum Teil für ihren hoheitlichen Bereich bezog. Es stellte sich die Frage, ob die Leistungen eine Belastung mit Umsatzsteuer auslösen.

Denkbar wäre insoweit gewesen, dass die Leistungen trotz Organschaft umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig sind und der Klägerin (Organträgerin) bei Leistungsbezug für den hoheitlichen Bereich kein Vorsteuerabzug zusteht. Oder die innerorganschaftliche Verwendung der Leistungen zu steuerpflichtigen unentgeltlichen Wertabgaben führt.  

Äußerst ungewöhnlich ist, dass sich der V. Senat in dem Verfahren nicht mit einer Vorlage begnügte, sondern der EuGH gleich zweimal entscheiden musste.

Keine unentgeltliche Wertabgabe (erste Vorlage)

Bereits auf die erste Vorlage des BFH mit Beschluss vom 7. Mai 2020 (V R 40/19) hat der EuGH mit Urteil vom 1. Dezember 2022 (C-269/20, S/FA T) entschieden, dass – in einer Organschaft – Leistungen in den hoheitlichen Bereich keine unentgeltlichen Wertabgaben darstellen.

Das Finanzamt hatte das Vorliegen einer unentgeltlichen Wertabgabe trotz Entgeltlichkeit damit begründet, dass innerhalb des Organkreises umsatzsteuerlich keine Leistungsbeziehungen bestehen könnten. Der EuGH hat dieser Auffassung insbesondere deshalb eine Absage erteilt, weil eine Verwendung im hoheitlichen bzw. ideellen Bereich nicht für unternehmensfremde bzw. private, sondern für nichtwirtschaftliche Zwecke im engeren Sinne erfolgt. Eine unentgeltliche Wertabgabe setzt aber unternehmensfremde Zwecke voraus.

Gleichwohl hatte der deutsche Rechtsanwender beim Lesen des Urteils insofern ein Störgefühl, als es den Eindruck erweckte, dass sich der EuGH mit der Nichtsteuerbarkeit der organschaftlichen Innenleistungen nicht beschäftigte.

Innenumsätze sind nicht steuerbar (zweite Vorlage)

Daher war die zweite Vorlage des BFH zwar außergewöhnlich, aber nicht verwunderlich. Denn die Nichtsteuerbarkeit ist nicht nur für den vorliegenden Fall entscheidend, sondern generell dafür, dass die Organschaft als Gestaltungsinstrument wirtschaftliche Vorteile bietet, wenn der Empfänger der Leistung im Organkreis – isoliert betrachtet – nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist. Sollte dies nicht der Fall sein, würde die umsatzsteuerliche Organschaft zu einer bloßen Deklarationsvereinfachung degradiert.

Diese Unklarheit veranlasste den BFH mit Beschluss vom 26. Januar 2023 zur erneuten Vorlage (V R 20/22), zu der das vorliegende Urteil Auskunft gibt. Dabei zweifelte der BFH an der Nichtsteuerbarkeit von Innenleistungen in der Organschaft, weil der EuGH mit Urteil vom 1. Dezember 2022 (C-141/20) in der Rechtssache Norddeutsche Diakonie ausgeführt hat, dass eine Organgesellschaft trotz umsatzsteuerlicher Organschaft wirtschaftlich selbständig tätig sein kann. Wie jedoch bereits die Ausführungen des Generalanwalts Rantos gezeigt haben, liegt dem ein Missverständnis zugrunde. Es handelt sich bei der Steuerbarkeit von Innenleistungen und der wirtschaftlich selbständigen Tätigkeit um voneinander unabhängige Rechtsfragen. Trotz wirtschaftlich selbständiger Tätigkeit führt die umsatzsteuerliche Organschaft zur Zusammenfassung mehrerer Unternehmer zu einem einzigen Steuerpflichtigen. Dies schließt aber eine Steuerbarkeit von Leistungen in der Organschaft aus.

Auch die Bedenken des BFH, die Behandlung als nicht umsatzsteuere Innenleistungen könne eine Gefahr von Steuerverlusten zur Folge haben, wenn der Empfänger der Leistungen – isoliert betrachtet – nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, werden vom EuGH nicht geteilt. Die Frage des Vorsteuerabzugs ist bei der Organschaft für die Mehrwertsteuergruppe insgesamt und nicht bezogen auf ein Mitglied der Gruppe zu beantworten. Zudem ist die Voraussetzung, dass eine Gefahr von Steuerverlusten verhindert werden muss, von dem EuGH in seinen Entscheidungen vom 1. Dezember 2022 (C-141/20, C-269/20) für die Bestimmung des Organträgers als einzigen Steuerpflichtigen der Gruppe und damit für eine andere Rechtsfrage aufgestellt worden.

Rechtsfolgen der Organschaft insgesamt unionsrechtskonform

Damit endet ein spannendes Kapitel der umsatzsteuerlichen Organschaft. Das grundsätzliche deutsche Verständnis der Rechtsfolgen einer umsatzsteuerlichen Organschaft ist unionsrechtskonform.

Die heiß diskutierte und ebenfalls von den Schlussanträgen der Generalanwältin Medina befeuerte Frage, ob es zulässig ist, den Organträger und nicht die Mehrwertsteuergruppe als einzigen Steuerpflichtigen anzusehen, hatte der EuGH bereits in seinen Entscheidungen vom 1. Dezember 2022 (C-141/20, C-269/20) beantwortet. Besonders brisant war, dass ein milliardenschwerer Umsatzsteuerschaden für den Fiskus (laut BFH 25 Mrd. EUR allein für 2018) drohte, wenn die als Organträger eingeordneten Steuerpflichtigen eine Erstattung abgeführter Umsatzsteuer mit der Begründung beansprucht hätten, dass sie nicht als Steuerpflichtiger der Organschaft anzusehen sind. Aber auch insoweit ist die deutsche Regelung nicht unionsrechtswidrig. 

Damit sind aber längst nicht alle offenen Fragen zur umsatzsteuerlichen Organschaft beantwortet. Insbesondere auch die Tatbestandsebene birgt – etwa bei der organisatorischen Eingliederung von Aktiengesellschaften (vgl. BFH-Beschluss vom 13. März 2024, V B 67/22) oder bei der wirtschaftlichen Eingliederung – weiterhin viel Diskussionspotential. Auch weitere EuGH-Vorlagen sind nicht ausgeschlossen.

Aus Anwendersicht wäre es gleichwohl wünschenswert, wenn der Eintritt der Rechtsfolgen einer umsatzsteuerlichen Organschaft an ein Antragsverfahren geknüpft wäre. Nachdem sich der EuGH in den letzten Jahren ausführlich mit der deutschen Organschaft beschäftigt und nun auch betreffend die Rechtsfolgen zu einem bestätigenden Ergebnis gekommen ist, ist davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber an seine diesbezüglichen Bemühungen anknüpft und diese hoffentlich zügig umsetzt.