Die neuen Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamts

10.11.2021 | FGS Blog

Kartellrechtsverstöße gehören nach wie vor zu den teuersten Gesetzesverstößen. Das Bundeskartellamt hat am 11. Oktober 2021 neue Leitlinien für die Bußgeldzumessung in kartellrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren (hier) sowie neue Leitlinien zum Kronzeugenprogramm (hier) veröffentlicht. Mit den neuen Bußgeldleitlinien will das Bundeskartellamt die behördliche Bußgeldzumessung stärker an der gerichtlichen Praxis der Bußgeldzumessung ausrichten. Zudem sollen sie den mit der 10. GWB-Novelle vorgenommenen Gesetzesänderungen (siehe dazu unseren Blog-Beitrag zum Kartellbußgeldrecht nach der 10. GWB-Novelle) Rechnung tragen. In einem weiteren Blog-Beitrag gehen wir auf die Leitlinien zum Kronzeugenprogramm ein.

Hintergrund der neuen Bußgeldleitlinien

Das Bundeskartellamt kann gem. § 81d Abs. 4 GWB allgemeine Verwaltungsgrundsätze über die Ausübung des Ermessens bei der Bußgeldzumessung festlegen. Die neuen Leitlinien ersetzen jene vom 25. Juni 2013 und sollen mit einer abweichenden Zumessungsmethodik zu mehr Rechtssicherheit bei der Bußgeldzumessung für Kartellverstöße beitragen. Die Bußgeldleitlinien geltend jedoch bspw. nicht für Verstöße im Bereich der Fusionskontrolle. Der neu eingeführte "Ausgangswert" bei der Bußgeldzumessung als auch die detaillierteren Ausführungen zu den nunmehr in § 81d Abs. 1 GWB gesetzlich verankerten tat- und täterbezogenen Kriterien , die im Rahmen der Gesamtabwägung zum Tragen kommen, dürften tatsächlich zu mehr Rechtssicherheit und einer Annäherung an die gerichtliche Praxis führen. Aufgrund eines weiterhin bestehenden erheblichen Ermessensspielraums des Bundeskartellamts bleibt die Vorhersehbarkeit von Sanktionen allerdings eingeschränkt (hierzu bereits Kartellbußgeldrecht nach der 10. GWB-Novelle).

Bußgeldzumessung

Das Bundeskartellamt dokumentiert in den neuen Bußgeldleitlinien seine Vorgehensweise bei der Bußgeldzumessung: Zunächst ist der gesetzliche Bußgeldrahmen zu bestimmen, der die absoluten Grenzen der Geldbuße festlegt. In einem nächsten Schritt ist ein Ausgangswert der Geldbuße zu ermitteln. Auf Basis dieses Ausgangswertes wird die Geldbuße anhand erschwerender oder mildernder tat- und täterbezogener Kriterien innerhalb des gesetzlichen Bußgeldrahmens zugemessen.

Gesetzlicher Bußgeldrahmen

Die Leitlinien geben zunächst den gesetzlichen Bußgeldrahmen wieder, der sich auch mit der 10. GWB-Novelle nicht verändert hat. Er reicht für Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bis zu einer Obergrenze von 10% des im der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erwirtschafteten Gesamtumsatzes (§ 81c Abs. 2 S. 2 GWB). Dabei kommt es für den Gesamtumsatz nicht auf die Tätergesellschaft, sondern auf die Unternehmensgruppe an (sog. wirtschaftliche Einheit). Außerhalb des umsatzbezogenen Bußgeldrahmens, insb. gegenüber natürlichen Personen, beträgt der Bußgeldrahmen 1 Mio. Euro.

Bestimmung des Ausgangswerts

Die bisherigen Bußgeldleitlinien beließen dem Bundeskartellamt erhebliche Spielräume, deren Spiegelbild eine beträchtliche Rechtsunsicherheit für Unternehmen war. Nach den neuen Bußgeldleitlinien bildet das Bundeskartellamt nunmehr mittels des tatbezogenen Umsatzes und in Abhängigkeit vom Gesamtumsatz des Unternehmens einen für die weitere Bußgeldzumessung maßgeblichen sog. Ausgangswert. Tatbezogen ist derjenige Umsatz, der mit den kartellierten Produkten im Inland erzielt wird. Je größer der Gesamtumsatz eines Unternehmens, desto höher ist der Teil des tatbezogenen Umsatzes, der als sog. Umsatzgröße den Ausgangswert bildet. Die Leitlinien benennen in Stufen Gesamtumsatzgrößen (z.B. < 100 Mio. Euro, 100 Mio. bis 1 Mrd. Euro, usw.), denen bestimmte Prozentsätze für die Umsatzgröße korrespondieren. Dies ist ebenso neu wie der Umstand, dass der Ausgangswert maximal die Hälfte des gesetzlichen Bußgeldrahmens betragen soll. Diese Bestimmung eines Ausgangswertes für die weitere Bußgeldzumessung führt dazu, dass die Bußgeldzumessung vorhersehbarer wird.

 

Ein Beispiel: Ein Unternehmen erzielt einen Gesamtumsatz von 1 Mrd. Euro. Auf das kartellierte Produkt entfällt ein tatbezogener Umsatz in Höhe von 120 Mio. Euro. Bei der Unternehmensgröße (1 Mrd. bis 10 Mrd.) beträgt die Umsatzgröße für den Ausgangswert nach den Leitlinien 20-25%. Dies entspricht 24-30 Mio. Euro als Umsatzgröße/Ausgangswert. Der Ausgangswert würde in dem Beispiel ggf. auf 25 Mio. Euro festgesetzt. Dieser Betrag wäre auch unterhalb der Hälfte des gesetzlichen Bußgeldrahmens von 10% des Gesamtumsatzes.

Gesamtabwägung

In einem letzten Schritt bildet das Bundeskartellamt anhand tat- und täterbezogener Kriterien, die zu einer Erhöhung bzw. Verringerung des Ausgangswertes führen, die Geldbuße. Das Bundeskartellamt trägt dem neuen § 81d Abs. 1 S. 2 GWB Rechnung, der die Zumessungskriterien regelt. Nach den Leitlinien soll eine Geldbuße jedenfalls in Höhe des Doppelten des Ausgangswertes ausreichend und angemessen sein. Abweichungen sollen auch in besonderen Konstellationen möglich sein, etwa wenn die Geldbuße in Relation zum gesetzlichen Bußgeldrahmen ansonsten zu gering ausfiele.

In dem oben gebildeten Beispiel könnte das Bundeskartellamt z.B. wegen einer Wiederholungstäterschaft die Geldbuße auf das Doppelte des Ausgangswertes erhöhen und läge dann bei 50 Mio. Euro. Damit würde der gesetzliche Bußgeldrahmen bis zur Hälfte ausgeschöpft, was bei einem "normalen" Kartellverstoß schon signifikant wäre. Zu bedenken ist nämlich, dass der obere Bereich des gesetzlichen Bußgeldrahmen für die denkbar schwersten Fälle vorbehalten bleiben muss.

Fazit

Die neuen Bußgeldleitlinien sind kein Paradigmenwechsel, passen die behördliche Praxis jedoch an die mit der 10. GWB-Novelle vorgenommenen an und haben aufgrund einer geänderten Zumessungsmethodik sowie breiteren Ausführungen zu tat- und täterbezogenen Kriterien jedenfalls das Potenzial für eine gesteigerte Transparenz und Rechtssicherheit. Abzuwarten bleibt die konkrete Anwendungspraxis. Trotz sinkender Zahl von Kronzeugenanträgen geht dem Bundeskartellamt die Arbeit insoweit nicht aus.