Die „Familiengenossenschaft“: Steuersparmodell oder Steuerhinterziehung?
In den letzten Jahren wurde ein Modell beworben und vertrieben, um private Aufwendungen dem betrieblichen Bereich zuzuordnen und damit von der Steuer abzusetzen. Getreu dem Motto „Selbst schuld, wer den Familienurlaub aus versteuerten Einkünften bezahlt“ entstanden Genossenschaften, deren Mitglieder sich regelmäßig auf eine Familie im weiteren Sinne beschränken. Finanzverwaltung und Rechtsprechung sehen hierin eine gesetzwidrige Steuergestaltung.
Diese Genossenschaften haben u. a. das Ziel, private Urlaube als genossenschaftliche Studienreisen, das privat genutzte Auto als genossenschaftliches Gemeinschaftsauto oder die Küche nebst Lebensmitteln als genossenschaftliche Kantine von der Steuer abzusetzen. Die betreffenden Genossenschaften vertreten entsprechend die Auffassung, dass die Förderung der Wirtschaft ihrer Mitglieder i. S. d. § 1 Abs. 1 GenG in Gestalt von Maßnahmen erfolgen kann, die auf die Senkung der privaten Ausgaben der Mitglieder gerichtet sind. Denn nach dieser gesetzlichen Regelung ist Zweck der Genossenschaft „die Förderung des Erwerbs, der Wirtschaft der Mitglieder und deren soziale und kulturelle Belange mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes.“ Dem Vernehmen nach wurde dieses Modell in hunderten Fällen praktiziert.
Das Ministerium der Finanzen Sachsen-Anhalt veröffentlichte hierzu bereits 2023 eine steuerliche Einschätzung (v. 19.10.2023, 42-S 2702-3). Demnach stellt die auf die Finanzierung der privaten Lebensführung gerichtete Leistung mangels hinreichenden Zusammenhangs zum genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb eine (verdeckte) Gewinnausschüttung („vGA“) dar; ein Betriebsausgabenabzug ist folglich verwehrt. Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg (v. 15.01.2025 - 11 K 11042/24; Entscheidung über Nichtzulassungsbeschwerde ausstehend) hat diese Auffassung jüngst bestätigt und konkretisiert:
„Vielmehr dient das Unternehmen (…) der Mittelbeschaffung zur Finanzierung der privaten Aufwendungen der ordentlichen Mitglieder […]. Eine solche Überschussverteilung ist nach der gesetzgeberischen Konzeption der Einkommensermittlung gerade nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen […], sondern stellt einen typischen Fall einer Gewinnausschüttung, die verdeckt erfolgt, dar. Die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse kann keine ertragsteuerlichen Auswirkungen haben. Denn durch das Rechtsinstitut der verdeckten Gewinnausschüttung soll gerade die Verlagerung privater Aufwendungen in die betriebliche Sphäre verhindert werden […].“
Danach ist die steuerwirksame Verwendung von Einkünften aus dem Geschäftsbetrieb der Genossenschaft für private Aufwendungen der Mitglieder ausgeschlossen, weil private Aufwendungen (bspw. der Familienurlaub) grundsätzlich gerade nicht den (wirtschaftlichen) Geschäftszweck der Genossenschaft fördern. Die Förderung der privaten sozialen und kulturellen Belange der Mitglieder berechtigt die Genossenschaft nicht zum Betriebsausgabenabzug.
Bemerkenswert ist die Aussage des Finanzgerichts, dass dahingestellt werden kann, ob aus dem von der Klägerin „geschaffenen Konstrukt zur steuerlichen Geltendmachung privater Aufwendungen sonstige außersteuerliche Konsequenzen zu ziehen sind. Diese Beurteilung und dahingehende Ermittlungen obliegen nicht dem erkennenden Senat.“ Ein deutlicherer Verweis auf strafrechtliche Konsequenzen ist kaum möglich.
Die Grenzen zulässiger steuerlicher Gestaltung sind ein Dauerthema des Steuerstrafrechts. Zwar hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 klargestellt, dass es einem Steuerpflichtigen im Grundsatz frei steht, „jeweils die ihm günstigste steuerrechtliche Gestaltung zu wählen“. Ein Steuerpflichtiger begeht jedoch eine Steuerhinterziehung, wenn er von der Rechtsprechung oder den Richtlinien der Finanzverwaltung abweicht, ohne in seiner Steuererklärung auf die Abweichung hinzuweisen bzw. die steuererheblichen Tatsachen dem Finanzamt mitzuteilen. Spätestens mit dem Erlass des Finanzministeriums Sachsen-Anhalt und der jüngsten Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg besteht in vergleichbaren Fallkonstellationen eine Pflicht zur Offenbarung, wenn Steuerpflichtige ein Strafrisiko vermeiden wollen.
Doch auch die Vergangenheit birgt Risiken. Die Klarheit der Entscheidungsgründe des FG Berlin-Brandenburg und der Hinweis des Gerichts wird Steuerfahndungsämter dazu veranlassen, die vGA auch strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie das Gesamtkonstrukt der Familiengenossenschaften als Steuerhinterziehungsmodell qualifizieren und damit in eine Riege mit „Cum-Ex-Gestaltungen“ stellen. Es ist daher dringend geraten, das Finanzamt nachträglich in der Weise über die steuerliche Vergangenheit in Kenntnis zu setzen, dass die Erklärung nötigenfalls als steuerstrafrechtliche Selbstanzeige i. S. des § 371 AO gewertet werden kann.
Soweit der steuerliche Berater das Modell dem Steuerpflichtigen empfohlen hat bzw. hierzu steuerliche Gutachten eingeholt worden sind, kann dies den Vorsatz und damit eine Steuerhinterziehung ausschließen. Die Anforderungen an solche Rechtsgutachten sind jedoch erheblich, wie unsere Kollegen Dr. Tobias Schwartz und Leoni Bertram jüngst berichteten. Verlassen sollten sich die Betroffenen daher auf solche Gutachten keinesfalls und mindestens die Nacherklärung in Form einer Selbstanzeige als zweite Verteidigungslinie nutzen.
Dieser Blog-Beitrag ist in Zusammenarbeit mit unserem Gastautor Johann-Nikolaus Karstens entstanden.