Bundesarbeitsgericht bestätigt Praxis zum Einsatz mitbestimmungsloser SE - keine Nachholung des Arbeitnehmerbeteilungsverfahrens

06.05.2025 | FGS Blog

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied in drei Beschlüssen vom 26.11.2024 (Aktenzeichen 1 ABR 37/20, Aktenzeichen 1 ABR 3/23 und Aktenzeichen 1 ABR 6/23, dass bei einer europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, kurz SE) ein Verfahren über die Beteiligung der Arbeitnehmer nicht nachzuholen ist, wenn dies bei Gründung unterblieben war. Damit bestätigte das BAG die verbreitete Praxis, eine Vorrats-SE ohne Beteiligung von Arbeitnehmern zu gründen, um die Mitbestimmung zu umgehen oder – wie im Fall des BAG – sogar nachträglich zu beseitigen.

Zuvor entschied bereits der Europäische Gerichtshof (EuGH) vergleichbar. Wie wir im Blogbeitrag berichteten. 

Sachverhalt

Im Fall des BAG (Az. 1 ABR 37/20) wollte der Konzernbetriebsrat der „O Holding SE & Co. KG“ gerichtlich durchsetzen, dass ein sogenanntes Verhandlungsverfahren über die Beteiligung von Arbeitnehmern durchgeführt wird. Das Ziel dieses Verfahrens sollte es sein, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der „O. Holding SE“ zu ermöglichen.

Die beiden identischen Beschlüsse des BAG Az. 1 ABR 3/23 und 6/23 betreffen eine vergleichbare Konstellation.

Der Hintergrund des Rechtsstreites war, dass die unternehmerische Mitbestimmung im deutschen Arm des „O. Konzerns“ aufgrund einer Umstrukturierung im Jahr 2013 entfallen war.

Schritt 1 - Gründung mitbestimmungsfreier SE

Anfang 2013 gründeten die O. Ltd. mit Sitz in London und die deutsche O. GmbH die O. Holding SE mit Sitz in England. Keine der Gesellschaften beschäftigte Arbeitnehmer. Daher konnte die O. Holding SE in das englische Gesellschaftsregister eingetragen werden, ohne dass ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchgeführt wurde. Ebenfalls im Jahr 2013 war die arbeitnehmerlose O. Management SE gegründet worden – ebenfalls ohne ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren. In den Aufsichtsräten der beiden SE saßen daher keine Arbeitnehmervertreter.

Schritt 2 - Formwechsel der O. Holding GmbH

Ab März 2013 war die O. Holding SE die Alleingesellschafterin der O. Holding GmbH. Diese GmbH beschäftigte ca. 800 Arbeitnehmer. Ihre Tochtergesellschaften beschäftigen in der EU weitere rund 2.200 Arbeitnehmer. Die O. Holding GmbH war nach dem Drittelbeteiligungsgesetz mitbestimmt. Das bedeutet, dass sie einen Aufsichtsrat zu bilden hatte, in dem jedes 3. Mitglied ein Arbeitnehmervertreter war. Weil im Konzern über 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt waren, dürfte auch eine paritätische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976 jedenfalls in Zukunft realistisch erwartbar gewesen sein. Für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetz 1976 sind aber nur in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer maßgeblich.

Im Juni 2013 war die O. Holding GmbH im Wege des Formwechsels in die O. Holding SE & Co. KG umgewandelt worden. Als Komplementärin trat die O. Management SE ein. Die O. Holding SE war die Alleinaktionärin der O. Management SE und die einzige Kommanditistin der KG.

Schritt 3 – Sitzverlegung

Erst 2017 verlegte die O. Holding SE ihren Sitz nach Hamburg, Deutschland.

Ergebnis – keine Mitbestimmung

Im Zuge des Formwechsels entfiel die Mitbestimmung in der O. Holding SE & Co. KG.

Bedeutung für die Praxis

Das BAG bestätigte, dass dieses Vorgehen rechtlich in Ordnung war, da keine der beteiligten Gesellschaften mitbestimmt ist, und das Verhandlungsverfahren über eine Arbeitnehmerbeteiligung nicht nachgeholt werden muss. Für das Begehr des Konzernbetriebsrats gebe es weder eine gesetzliche Regelung noch könne eine solche kraft richterlicher Rechtsfortbildung hergeleitet werden.

In seinen Entscheidungen sprach das BAG einen möglichen Missbrauch der SE mit dem Ziel an, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Ein solcher Missbrauch wäre nach § 43 SEBG verboten. Ob ein solcher Missbrauch vorliege, lies das BAG offen. Denn aus § 43 SEBG folge nicht die Pflicht, das Verhandlungsverfahren nachzuholen. Allerdings betonte das BAG, dass der Gesetzgeber gerade diese Rechtsfolge vorsehen könne.

Im Ergebnis ist höchstrichterlich geklärt, dass ein Verhandlungsverfahren über eine Beteiligung der Arbeitnehmer nicht nachgeholt werden muss, wenn es bei Gründung und vor Eintragung einer SE in das Register eines Mitgliedstaats der Europäischen Union unterblieben ist, weil deren Gründungsgesellschaften keine Arbeitnehmer beschäftigten. Diese Entscheidungen des BAG weisen den Weg in die dauerhaft mitbestimmungsfreie SE. Denn selbst wenn die SE nach Gründung und Registereintragung mit Unternehmen und Arbeitnehmern durch Umwandlungsmaßnahmen oder Sachkapitalerhöhung ausgestattet wird, ist kein Verhandlungsverfahren nachzuholen.

Das BAG formuliert in seinem Urteil einen ausdrückliche Handlungsauftrag an den Gesetzgeber und hält es für möglich, dass als Sanktion für den Verstoß gegen das Missbrauchsverbot die Nachholung oder erstmalige Durchführung des Verhandlungsverfahrens angeordnet wird. Eine solche Rechtsfolge ist für den Verstoß gegen das vergleichbare Missbrauchsverbot in § 36 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung nämlich vorgesehen. Ob der Gesetzgeber dementsprechend tätig wird, ist offen. Im Koalitionsvertrag der Koalition aus CDU/CSU und SPD für die 21. Legislaturperiode heißt es im Abschnitt zum Arbeitsrecht in Zeile 579 schlicht: „Wir werden die Mitbestimmung weiterentwickeln.“