BMJV legt Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität vor

06.09.2019
Dr. Tobias Schwartz      Dr. Anja Stürzl LL.M.

Das Bundesjustizministerum hat gemäß der Vorgabe aus dem Koalitionsvertrag den lange und mit Spannung erwarteten Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ vorgelegt. Der 147 Seiten starke Entwurf für ein Verbandssanktionengesetz zielt darauf ab, eine eigenständige gesetzliche Grundlage zur Sanktionierung von Verbänden zu schaffen, die dem Legalitätsprinzip unterliegt. Zudem soll durch das neue Unternehmensstrafrecht eine angemessene Ahndung von Verbandsstraftaten ermöglicht werden. Dabei sollen auch Anreize für Unternehmen geschaffen werden, Compliance-Maßnahmen zu intensivieren und interne Untersuchungen zur Aufklärung von Straftaten durchzuführen.

Ziel des Gesetzgebers

Mit dem Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG-E) soll erstmals im deutschen Strafrecht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen bei Vorliegen einer „Verbandsstraftat“ geschaffen werden. Bisher können sich nach deutschem Strafrecht nur natürliche Personen strafbar machen. Einem Unternehmen droht bei Gesetzesverstößen von Leitungspersonen derzeit lediglich eine Geldbuße nach § 30 OWiG.

 

Das derzeit geltende Opportunitätsprinzip räumt den Behörden ein Ermessen bei der Frage ein, ob eine Verfolgung stattfindet. Durch die Einführung des Legalitätsprinzips soll nach dem Verbandssanktionengesetz künftig bei einem Anfangsverdacht für eine Verbandsstraftat ein Verfolgungszwang bestehen.

 

Von dem Verbandssanktionengesetz sollen juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften betroffen sein.

Voraussetzungen für die Verhängung von Verbandssanktionen

Der Entwurf des Verbandssanktionengesetzes sieht die Verhängung einer Verbandssanktion vor, wenn eine Leitungsperson (z.B. Vorstand, Geschäftsführer, Prokurist, Bereichsleiter) eine Verbandsstraftat begangen hat oder irgendjemand (jeder Mitarbeiter) in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands eine Verbandsstraftat begangen hat, die eine Leitungsperson durch angemessene Vorkehrungen hätte verhindern oder wesentlich erschweren können (Aufsichtspflichtverletzung).

 

Eine Verbandsstraftat ist eine Straftat, durch die Pflichten des Verbands verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte. Verbandsstraftaten sind zum Beispiel: Steuerhinterziehung, Korruption, Betrug, Geldwäsche. Auch Auslandstaten erfasst das Gesetz, wenn die Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre und der Verband seinen Sitz im Inland hat.

Verbandssanktionen: Verbandsauflösung als ultima ratio

Bei Verstößen drohen massive Sanktionen von Verwarnungen mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt über Verbandsgeldsanktionen bis hin zur Verbandsauflösung als ultima ratio.

 

Die Verbandsgeldsanktion soll bei einer vorsätzlichen Verbandsstraftat mindestens 1.000 Euro und höchstens 10 Mio. Euro betragen. Die Höchstgrenze entspricht der derzeitigen Rechtslage gemäß § 30 OWiG. Bei Unternehmen mit einem Konzernjahresumsatz von mehr als 100 Mio. Euro soll die Verbandsstraftat hingegen mindestens 10.000 Euro und bis zu 10 % des durchschnittlichen Konzernjahresumsatzes der letzten drei Geschäftsjahre betragen. Hinzu kommt, dass bei mehreren Verstößen das Doppelte des Höchstmaßes verhängt werden kann. Bei großen Unternehmen könnte im Fall mehrerer vorsätzlicher Verbandsstraftaten somit eine Verbandsgeldsanktion bis zu 20 % des Konzernjahresumsatzes der letzten drei Geschäftsjahre verhängt werden.

Naming and shaming nach dem Verbandssanktionengesetz

Aber nicht nur finanziell erhöhen sich mit dem Verbandssanktionengesetz die Risiken für Unternehmen. Schon bisher konnten Ermittlungs- und Gerichtsverfahren zu bedeutenden Reputationsschäden führen. Nach dem neuen Unternehmensstrafrecht soll bei einer großen Zahl von Geschädigten neben einer Verbandssanktion auch eine Veröffentlichung der Verurteilung des Verbandes angeordnet werden können. Eine Veröffentlichung im Internet ist ausdrücklich vorgesehen.

Sanktionsmilderung durch Compliance-Maßnahmen und verbandsinterne Untersuchungen

Gleichzeitig soll internen Untersuchungen und Compliance-Maßnahmen strafmildernde Wirkung zukommen. Dies allerdings nur, wenn die internen Untersuchungen den hohen Anforderungen des Gesetzes entsprechen. Voraussetzung ist unter anderem, dass der beauftragte Dritte, der die verbandsinternen Untersuchungen durchführt, nicht Verteidiger des Verbandes oder eines der Beschuldigten ist. Zudem müssen die mit der internen Untersuchung zusammenhängenden Unterlagen vollständig zur Verfügung gestellt werden. Der Verband muss ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeiten.

 

Die interne Untersuchung muss unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt werden. Dazu gehört nach dem geplanten  Verbandssanktionengesetz, dass Mitarbeitern in Befragungen eine „Selbstbelastungsfreiheit“ zugestanden wird und sie einen anwaltlichen Beistand beiziehen dürfen. Ungeklärt ist, wie dies mit dem arbeitsrechtlichen Auskunftsanspruch des Unternehmens gegen seine Arbeitnehmer in Einklang gebracht werden soll.

 

Führt der Verband eine interne Untersuchung nach den vom Verbandssanktionengesetz vorgesehenen Maßgaben durch, verringert dies das Höchstmaß der Verbandsgeldsanktion um die Hälfte. Das Mindestmaß entfällt. Auch die Verbandsauflösung und das „naming and shaming“ entfallen dann vollständig.

Ausblick

Erfahrungsgemäß wird der Entwurf des Verbandssanktionengesetzes im Gesetzgebungsverfahren noch Anpassungen erfahren. Dass ein solches Unternehmensstrafrecht kommt, dürfte aber sicher sein. Die Anzahl der Verfahren gegen Unternehmen dürfte damit künftig deutlich ansteigen. Damit einhergehend dürfte die Verfahrensdauer in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen weiter zunehmen.

 

Um das Risiko von Verbandsstraftaten und Verbandssanktionen auszuschließen bzw. möglichst gering zu halten, wird es in der Zukunft von noch größerer Bedeutung sein, ein funktionierendes Compliance-System im Unternehmen zu schaffen. Selbst die Implementierung oder Optimierung des Compliance-Systems nach Verwirklichung einer Verbandsstraftat kann die Sanktionierung erheblich mindern. Dies entspricht der aktuellen Rechtsprechung des BGH, wonach bei der Bemessung einer Geldbuße eine Rolle spielt, ob das Unternehmen in der Folge eines Compliance-Verstoßes die entsprechenden Regelungen optimiert und die betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden (BGH, 9.5.2017 – 1 StR 265/16).

 

Die Durchführung von verbandsinternen Untersuchungen nach den Vorgaben des Verbandssanktionengesetzes sollte künftig sorgsam abgewogen werden. Denn dass diese honoriert wird, erscheint angesichts der vorgesehenen hohen Anforderungen keineswegs sicher.