BFH verwirft Rangverhältnis bei Einkünftekorrektur sowie Dreieckstheorie

16.10.2020

Einkünftekorrekturen zwischen international verbundenen Unternehmen waren bislang vorrangig auf die Instrumente der verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) und der verdeckten Einlage (vE) zu stützen. Erst nachrangig kam eine Korrektur der Einkünfte nach § 1 Abs. 1 AStG in Frage. Diesem Verständnis hat der Bundesfinanzhof überraschend eine Absage erteilt (Urteil vom 27. November 2019, I R 40/19).

 

Der BFH hat dabei außerdem die durch ihn vormals selbst entwickelte sogenannte Dreieckstheorie verworfen. Diese kam bislang im Zusammenhang mit der nicht fremdüblichen Gewährung von Vorteilen zwischen Schwestergesellschaften zur Anwendung. Auch wenn der BFH mangels vorinstanzlicher Feststellungen einige Streitfragen an das Finanzgericht zurückverweist, sind dem Urteil wichtige Grundsätze zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes in grenzüberschreitenden Dreiecksverhältnissen zu entnehmen.

Worum ging es?

Die Klägerin – eine deutsche GmbH – und ihre ebenfalls in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft hatten einer Tochter- bzw. Schwestergesellschaft mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Tschechien jeweils zum 1. Januar 2003 ein Darlehen mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einer Verzinsung von 6,3% p.a. gewährt. Die inländischen Gesellschaften bildeten eine ertragssteuerliche Organschaft.

 

Durch Erklärung vom 18. September 2003 wurden beide Darlehen rückwirkend ab dem 1. Januar 2003, sowie für die Zukunft zinsfrei gestellt. Das zuständige Finanzamt korrigierte in der Betriebsprüfung der Jahre 2003 und 2004 die Zinsforderungen außerbilanziell gemäß § 1 Abs. 1 AStG, da der Zinsverzicht nicht fremdüblich sei. Die Klage beim Sächsischen FG hatte keinen Erfolg (FG Sachsen, Urteil vom 26. Januar 2016, 3 K 653/11).

Zinsverzicht der Muttergesellschaft

Hinsichtlich der Korrektur des Darlehens zwischen der deutschen Muttergesellschaft und der tschechischen Tochtergesellschaft bietet das Urteil keine Überraschungen: Soweit die bereits entstandenen Zinsforderungen gegenüber der tschechischen Tochtergesellschaft werthaltig sind, sind diese auf Ebene der Muttergesellschaft als vE gemäß § 6 Abs. 6 S. 2 EStG zu beurteilen und erhöhen die Anschaffungskosten der Beteiligung. Hierdurch erhöhen sich die Einkünfte der Muttergesellschaft um den Teilwert des gewährten Vorteils. Waren die bereits entstandenen Zinsforderungen hingegen wertlos, scheitert die vE am Vorliegen eines einlagefähigen Wirtschaftsguts.

 

Dies gilt auch im Hinblick auf den Verzicht auf die noch nicht entstandenen Zinsforderungen. Denn insoweit liegt lediglich ein Nutzungsvorteil vor, der als solcher nicht verdeckt in die Tochtergesellschaft eingelegt werden kann. Wird hierbei gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen, kann die Korrektur jedoch auf § 1 Abs. 1 AStG gestützt werden. Mit Blick auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. Hornbach Baumarkt muss dem Steuerpflichtigen jedoch die Möglichkeit zum Vorbringen wirtschaftliche Gründe für ein etwaiges Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsatz gegeben werden. Insoweit fehlte es dem BFH an der Feststellung der hierfür notwendigen Tatsachen, so dass er den Fall zur weiteren Aufklärung an das FG zurückverwies.

Zinsverzicht der Schwestergesellschaft

Anwendung § 1 Abs. 1 AStG trotz fehlender Geschäftsbeziehung

Bei einer Vorteilsgewährung zwischen Schwestergesellschaften kommt nach bisherigem Verständnis die durch den BFH entwickelte „Dreieckstheorie“ zur Anwendung. Diese basiert auf der Vorstellung, dass die vorteilsgewährende (hier: deutsche) Schwestergesellschaft den Vorteil zunächst im Rahmen einer vGA an die Muttergesellschaft ausschüttet; diese reicht den Vorteil weiter an die vorteilsempfangende (hier: tschechische) Schwestergesellschaft. Bildet der Vorteil ein einlagefähiges Wirtschaftsgut, so wird in diesem Zusammenhang eine vE durch die Muttergesellschaft angenommen. Ist der Vorteil nicht einlagefähig, so wird er auf Ebene der Muttergesellschaft „verbraucht“. So oder so scheidet nach der hM eine Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG bei der Muttergesellschaft aus.

 

Vom BFH wurde der hiesige Fall jedoch anders gelöst. Soweit die bereits entstandenen Zinsforderungen werthaltig sind, soll die Dreieckstheorie weiterhin anzuwenden sein. Soweit diese jedoch nicht werthaltig sind, soll zwar zunächst eine vGA der vorteilsgewährenden Schwestergesellschaft an die Muttergesellschaft anzunehmen sein. Allerdings: Weil aus den bereits geschilderten Gründen dort die Annahme einer vE scheitert, soll die Korrektur auf § 1 Abs. 1 AStG gestützt werden. Denn nach Auffassung des BFH ließe sich nur so der „zutreffende Inlandsgewinn“ ermitteln. Dessen Anwendbarkeit hänge aber davon ab, ob die fehlende Besicherung des Darlehens fremdüblich gewesen sei. Auch diese Frage wird an das FG Sachsen zurückverwiesen.

 

Warum auf Ebene der Muttergesellschaft (insbesondere in Ermangelung einer Geschäftsbeziehung) § 1 Abs. 1 AStG überhaupt dem Grunde nach anwendbar sein soll, wird durch den BFH leider nicht näher erörtert. Zudem bleibt unklar, welche Partei vorliegend von wem eine Sicherheit hätte einfordern müssen.

Abkehr von der Dreieckstheorie und kein Rangverhältnis zwischen Einkünftekorrekturvorschriften

Gänzlich Abstand von der „Dreieckstheorie“ nimmt der BFH im Zusammenhang mit der Abhandlung des durch die deutsche Tochtergesellschaft ihrer tschechischen Schwestergesellschaften gegenüber erklärten Verzichts auf künftige Zinsforderungen. So soll nach Auffassung des BFH der Gesetzeswortlaut „unbeschadet anderer Vorschriften“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG) kein Rangverhältnis zu Gunsten der vGA und vE begründen. Vielmehr liege die Entscheidung über die Anwendung der Korrekturnormen einzelfallbezogen im Ermessen des Rechtsanwenders. Dies soll jedenfalls gelten, sofern sich die Rechtsfolgen dieser Korrekturen nicht unterscheiden. Hiermit wähnt sich der BFH im Widerspruch zu seiner Auffassung im Urteil vom 9. November 1988 (I R 335/83), an der er nun nicht mehr festhalten möchte. Da im vorliegenden Fall nur durch Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG der „zutreffende Inlandsgewinn“ besteuert werde, entschied sich der BFH für § 1 Abs. 1 AStG unmittelbar auf Ebene der deutschen Tochtergesellschaft ohne Anwendung der „Dreieckstheorie“.

 

Offen lässt der BFH insoweit, wer als Rechtsanwender der Korrekturnormen anzusehen ist (Steuerpflichtiger, Finanzbehörde, Finanzgericht). Ebenso wenig zeigt der BFH, was konkret unter identischen Rechtsfolgen bei der Anwendung der Einkünftekorrekturvorschriften verstanden werden kann. Bspw. zieht die Annahme einer vGA die Erhebung von Kapitalertragsteuer nach sich, während dies bei § 1 Abs. 1 AStG nicht der Fall ist. Und schließlich bleibt offen, wie zu verfahren ist, wenn ebensolche identischen Rechtsfolgen vernünftigerweise nicht angenommen werden können bzw. ob dann doch ein Rangverhältnis und – bejahendenfalls – zu Gunsten welcher Vorschrift bestehen soll.