BFH: Ernstliche Zweifel an der „Signing/Closing-Theorie“ in der Grunderwerbsteuer
Die Finanzverwaltung vertritt seit einigen Jahren die umstrittene „Signing-Closing-Theorie“ für Share Deals über mind. 90 % der Anteile an einer Grundstücksgesellschaft. Danach sollen Vertragsabschluss (Signing) und Anteilsübergang (Closing) zwei unterschiedliche grunderwerbsteuerbare Vorgänge darstellen: Beim Signing werde § 1 Abs. 3/3a GrEStG verwirklicht, beim Closing § 1 Abs. 2a/2b GrEStG.
An dieser Auffassung bestanden von Anfang an Zweifel, denn § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG kommen nach dem Gesetzeswortlaut nur zur Anwendung, „soweit eine Besteuerung nach Abs. 2a und 2b GrEStG nicht in Betracht kommt“. Die Finanzverwaltung interpretiert diese Vorrangregel jedoch nicht zeitraumbezogen, sondern rein zeitpunktbezogen. Sie geht davon aus, dass beim Signing zunächst § 1 Abs. 3/ 3a GrEStG verwirklicht wird, wenn das Closing nicht zeitgleich, sondern zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Wenn im Zeitpunkt des Closing dann die eigentlich vorrangige Besteuerung nach § 1 Abs. 2a/2b GrEStG eintritt, soll nach der – erst nachträglich durch das JStG 2022 eingefügten – Verfahrensvorschrift des § 16 Abs. 4a GrEStG eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3a/3a GrEStG wieder rückgängig gemacht werden.
Die Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 4a GrEStG wird jedoch an hohe Hürden geknüpft. Insbesondere müssen Signing und Closing jeweils vollständig und fristgerecht innerhalb von zwei Wochen angezeigt worden sein (§ 16 Abs. 5 Satz 2 GrEStG). In der Praxis bleibt es daher in vielen Fällen bei einer Besteuerung sowohl des Signing als auch des Closing. Wird ein Grunderwerbsteuerfall – zum Beispiel im Rahmen einer Betriebsprüfung – erst nach dem Closing bekannt, ist die Steuer für das Signing nach der Verwaltungsauffassung „nachzuholen“. Auch hier kommt es zu einer sehr fragwürdigen Doppelbelastung mit Grunderwerbsteuer.
Die „Signing/Closing-Theorie“ beschäftigte in den vergangenen Monaten mehrere Finanzgerichte. Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg (Beschlüsse v. 9.1.2025 – 12 V 12130/24 und v. 31.1.2025 – 12 V 12129/24) und das FG Baden-Württemberg (Beschluss v. 16.5.2025 – 5 V 846/25) haben Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der „doppelten“ Grunderwerbsteuer abgelehnt. Die Aussetzung der Vollziehung setzt „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ einer Steuerfestsetzung voraus. Die Finanzgerichte hatten hinsichtlich der „Signing/Closing-Theorie“ keine derartigen Zweifel gesehen. Sie schlossen sich der zeitpunktbezogenen Betrachtung der Finanzverwaltung an und sahen in einer doppelten Besteuerung einer Anteilstransaktion beim Signing und beim Closing keine Übermaßbesteuerung, da es der Steuerpflichtige ja in der Hand hätte, beide Vorgänge rechtzeitig anzuzeigen.
Anders entschied nun der Bundesfinanzhof (BFH) (Beschluss v. 9.7.2025 – II B 13/25, Vorinstanz FG Berlin-Brandenburg v. 9.1.2025 – 12 V 12130/24). In dem streitigen Fall erfolgte eine Übertragung von 100 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft (Signing am 11.3.2024 und Closing 29.3.2024). Eine Grunderwerbsteueranzeige für das Signing erfolgte (4.4.2024), die Anzeige für das Closing unterblieb. Das Finanzamt setzte daraufhin zweimal Grunderwerbsteuer fest. Der BFH gewährte die Aussetzung der Vollziehung: Jedenfalls dann, wenn dem Finanzamt im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bekannt ist, dass das Closing bereits erfolgt ist, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zweimaligen Grunderwerbsteuer.
Der BFH machte deutlich, dass er über diese Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, er jedoch folgende Erwägungen für entscheidungserheblich hält:
Der BFH hat noch nicht in der Hauptsache, sondern nur in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Aussetzung der Vollziehung, § 69 FGO) entschieden. Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung setzt lediglich „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ des angefochtenen Bescheids voraus. Nicht erforderlich ist, dass die für die
Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen.
Die „Signing/Closing-Theorie“ ist damit noch nicht vom Tisch, und es ist zu erwarten, dass die Finanzverwaltung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache an ihr festhalten wird. Die Hinweise des BFH zu den möglichen materiell-rechtlichen Erwägungen legen jedoch offen, dass über die Frage, was „in Betracht kommen“ im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG bedeutet, in materieller Hinsicht zu entscheiden sein wird und der erst kürzlich eingeführte § 16 Abs. 4a GrEStG diese Auslegung nicht einschränkt. Der BFH deutet dabei an, dass er das von der Verwaltung vertretene stichtagsbezogene Verständnis der materiellen Rangfolge zwischen den Ergänzungstatbeständen nicht teilt.
Wie bisher sollten jegliche Fälle, in denen die Finanzverwaltung eine zweimalige Besteuerung aufgrund der „Signing/Closing-Theorie“ vornimmt, offen gehalten werden.