Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG): Müssen gemeinnützige Organisationen jetzt handeln?

28.05.2025 | FGS Blog

Ab dem 28. Juni 2025 gilt das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Es verpflichtet Anbieter bestimmter digitaler Produkte und Dienstleistungen, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten – sofern diese entgeltlich und an Verbraucher gerichtet sind.

Viele gemeinnützige Organisationen gehen davon aus, dass sie von diesem Gesetz nicht betroffen sind. Doch ganz so einfach ist es nicht: Wer etwa Onlinekurse gegen Gebühr, digitale Spendenfunktionen mit Zusatzleistungen oder kostenpflichtige Ticketbuchungen anbietet, kann unter die neuen Vorgaben fallen. Vor allem größere NPOs und gemeinnützige Träger mit digitalen Angeboten sollten jetzt prüfen, ob und in welchem Umfang Handlungsbedarf besteht.

Was regelt das BFSG?

Das Gesetz setzt eine EU-Richtlinie um und soll die digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verbessern.

Es betrifft:

  • bestimmte digitale Produkte (z. B. Zahlungsterminals),
  • Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, z. B. Webseiten und mobile Anwendungen mit Vertragsabschlussmöglichkeit,
  • Telekommunikations- und Bankdienstleistungen,
  • digitale Angebote im öffentlichen Personenverkehr,
  • E-Books und damit verbundene Software.

Das Gesetz gilt nur, wenn:

  • die Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wird,
  • sie sich an Verbraucher richtet,
  • sie nach dem 28. Juni 2025 neu angeboten oder grundlegend geändert wird.

Wann sind gemeinnützige Organisationen betroffen?

Viele Angebote von NPOs fallen nicht unter das Gesetz, weil sie unentgeltlich sind oder sich nicht an Verbraucher richten. Dennoch lohnt sich eine differenzierte Prüfung, insbesondere, wenn einzelne Module oder Funktionalitäten entgeltlich ausgestaltet sind. Entgeltlich sind Dienstleistungen nämlich auch dann, wenn sie zu einem verbilligten Preis erbracht werden. In der Regel sind beispielsweise kostenlose Newsletter oder Veranstaltungskalender, digitale Spendenformulare und Förderanträge, Bewerbungsformulare für Stipendien oder Preise und Online-Anmelde-Masken für kostenlose Workshops nicht betroffen. Dagegen fallen der Zugang zu bezahlten Online-Kursen oder Lernplattformen, der Webshop für Merchandising-Artikel oder der Verkauf von Veranstaltungstickets unter das BFSG. Zu beachten ist, dass auch nur einzelne Funktionen eines Gesamtangebotes unter das BFSG fallen können.

Beispiel:

Eine Stiftung betreibt eine Plattform zur Vermittlung ehrenamtlicher Hilfe, bietet digitale Lernangebote gegen Schutzgebühr an und nutzt ein Spendenportal mit Dankeschön-Shop. Auch wenn nicht alle Angebote betroffen sind: einzelne Funktionen (z. B. die Kursbuchung) können unter das BFSG fallen.

Gibt es Ausnahmen oder Erleichterungen?

Ja – und zwar gleich mehrfach: Kleinstunternehmen (weniger als 10 Mitarbeitende und unter 2 Mio. Euro Umsatz oder Bilanzsumme) sind bei Dienstleistungen vollständig von der Pflicht zum barrierefreien Angebot ausgenommen. Auch unverhältnismäßige Belastungen können Ausnahmen begründen. Maßgeblich ist hier unter anderem der finanzielle Aufwand im Verhältnis zur Organisation. Darüber hinaus sind bestimmte Inhalte ausgenommen, etwa archivierte Webseiten oder eingebettete Inhalte Dritter. Unter bestimmten Voraussetzungen kann zudem ein Einhalten der Anforderungen entbehrlich sein, wenn dies zu einer wesentlichen Veränderung der Wesensmerkmale führen würde. Schließlich können auch bei einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des BFSG praktische Erleichterungen gelten, so z.B. bei technischen Vorgaben oder Nachweisen. In Zweifelsfällen empfiehlt es sich, die Anforderungen dokumentiert zu prüfen – auch um sich bei Fördergebern oder Aufsichtsbehörden abzusichern.

Darüber hinaus sieht das Gesetz Übergangsregelungen für digitale Angebote vor, die bereits vor dem Inkrafttreten des BFSG entwickelt worden sind.  Danach dürfen Dienstleistungen bis zum 27. Juni 2030 weiterhin unter Einsatz von Produkten erbracht werden, die bereits vor dem 28. Juni 2025 rechtmäßig genutzt wurden, und vor dem Stichtag geschlossene Verträge fortgeführt werden, allerdings längstens bis zum genannten Stichtag.

Zudem ist es erlaubt, Selbstbedienungsterminals, die vor dem 28. Juni 2025 verwendet wurden, weiterhin einzusetzen – bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer, maximal jedoch 15 Jahre nach Ingebrauchnahme.

Warum Barrierefreiheit wichtig ist

Auch in den Fällen, in denen das BFSG nicht direkt greift, gibt es gute Gründe, Barrierefreiheit zu berücksichtigen:

  • Inklusion ermöglichen: Barrierefreie Angebote machen Teilhabe für alle möglich.
  • Förderchancen verbessern: Immer mehr Programme verlangen barrierefreie Umsetzung.
  • Diskriminierung vermeiden: Rechtsansprüche auf gleichberechtigten Zugang bestehen auch jenseits des BFSG, etwa aus dem AGG oder BGG.
  • Zielgruppen erweitern: Menschen mit Behinderungen, ältere Personen, Nutzer mit Assistenztechnologien – Barrierefreiheit öffnet digitale Türen.
  • Reputationsschutz: Mangelnde digitale Barrierefreiheit kann zu Imageschäden, Ausschluss bei Förderverfahren oder aufsichtsrechtlichen Risiken führen.

Was sollten NPOs jetzt tun?

  • Bestandsaufnahme: Werden digitale Leistungen gegen Entgelt an Verbraucher angeboten?
  • Dokumentation: Liegt eine Ausnahme (z. B. Kleinstunternehmen) vor? Falls ja: dokumentieren
  • Barrierefreiheit mitdenken: Neue Webangebote gleich inklusiv gestalten
  • Fördermittel prüfen: Gibt es Zuschüsse für barrierefreie Digitalisierung? Viele Länderprogramme unterstützen dies.
  • Beratung einholen: Die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit berät Kleinstunternehmen.

Fazit und Ausblick

Wenn Ihre Organisation entgeltliche Dienstleistungen anbietet, ein neues Webprojekt plant oder Fördermittel für digitale Infrastruktur beantragen will, kann eine kurze rechtliche Erstprüfung sinnvoll sein.

Das BFSG verpflichtet die meisten gemeinnützigen Organisationen nicht direkt. Die Erwartungshaltung von Förderern, Nutzern und der Öffentlichkeit aber wächst. Wer sich frühzeitig damit auseinandersetzt, handelt verantwortungsvoll, effizient und im Sinne der Teilhabe.

Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Kai Kortus entstanden.