Hintergrund
Der Bundestag hat am 18. Oktober 2024 den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2024 („JStG 2024“) angenommen. Wenige Tage zuvor wurde der Entwurf durch eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (BT-Drs. 20/13419) um die rückwirkende Aufhebung der Verlustverrechnungsbeschränkung bei Termingeschäften und Forderungsausfällen im Privatvermögen erweitert. Die gesonderten Verlustverrechnungskreise für Termingeschäfte und Forderungsausfälle wurden erst mit Wirkung ab dem Jahr 2020 bzw. 2021 eingeführt und sind seither Gegenstand umfangreicher Kritik, die zuletzt in einem derzeit beim Bundesfinanzhof („BFH“) anhängigen Musterverfahren (Az. VIII R 11/24) gipfelte. Zentraler Streitpunkt ist die betragsmäßige Limitation der Verrechenbarkeit entsprechender Verluste auf EUR 20.000 p.a., welche in Fachkreisen weitestgehend als verfassungswidrig angesehen wird. Auch der BFH äußerte bereits Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Termingeschäften (vgl. unseren Blog-Beitrag v. 19. Juli 2024).
Nach der im Entwurf des JStG 2024 enthaltenen Regelung sollen die Verlustverrechnungsbeschränkungen entfallen, sodass Verluste aus Termingeschäften und Forderungsausfällen im Privatvermögen wieder unbeschränkt mit Kapitalerträgen verrechnet werden können. Aufgrund der vorgesehenen Rückwirkung soll dies nicht erst für zukünftige Verluste, sondern auch für alle noch offenen Steuerfälle gelten. Nach der Verabschiedung durch den Bundestag muss nun noch der Bundesrat zustimmen, damit das Gesetz gültig wird.
Auswirkungen auf „offene“ Fälle
Sollte die Gesetzesänderung wie im Entwurf vorgesehen in Kraft treten, können Steuerpflichtige folgende Auswirkungen erwarten:
- In laufenden Klageverfahren ist die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids dann nach neuer Rechtslage zu beurteilen. Die (zulässige) Klage hat Erfolg, weil die gesetzliche Grundlage für die in dem angegriffenen Bescheid vorgenommene Verlustverrechnungsbeschränkung rückwirkend entfallen ist. Erlässt das Finanzamt daraufhin von sich aus einen Abhilfebescheid, in dem es die neue Rechtslage berücksichtigt, kann der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt werden. Das Gericht entscheidet dann nur noch über die Kosten des Rechtsstreits. Nach der BFH-Rechtsprechung sind die Kosten dem Beteiligten aufzuerlegen, zu dessen Ungunsten die Rechtsänderung eintritt, da dieser nach Eintritt der Rechtsänderung auch im Falle einer streitigen Entscheidung unterlegen wäre – vorliegend also dem beklagten Finanzamt.
- In laufenden Einspruchsverfahren stellt sich die Lage etwas weniger förmlich dar. Aber auch hier wird das Finanzamt die neue Rechtslage berücksichtigen und entsprechende Abhilfebescheide erlassen, wodurch das (gebührenfreie) Einspruchsverfahren beendet wird.
- Steuerfälle, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen oder insoweit vorläufig ergangen sind, werden ebenfalls vom Finanzamt unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage geändert. Selbstredend wird das Finanzamt bislang noch nicht veranlagte Steuerfälle dann auch nach dem neuen Recht erstmalig veranlagen. Bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts ergehende Steuerbescheide sollten aber weiterhin mit Einspruch angegriffen werden (vgl. unsere Blog-Beiträge v. 19. Juli 2024 und 29. Januar 2024).
- In Fällen, in welchen bereits ein bestandskräftiger Steuerbescheid vorliegt, weil z.B. versäumt wurde, Einspruch einzulegen, würde indes grundsätzlich keine verfahrensrechtliche Möglichkeit bestehen, die Gesetzesänderung rückwirkend zu berücksichtigen. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, rechtzeitig gegen Steuerbescheide vorzugehen.
Die Steuerpflichtigen, welche die aufgrund der Verlustverrechnungsbeschränkung ausgelöste Steuerschuld beglichen haben, können in Abhängigkeit ihres individuellen Zinslaufs Erstattungs- bzw. Prozesszinsen erwarten. Wurde eine Aussetzung der Vollziehung in Anspruch genommen, müssen keine Aussetzungszinsen gezahlt werden, weil der Rechtsbehelf in den zuvor skizzierten Fällen nicht erfolglos geblieben ist.
Einordnung des Gesetzesvorhabens
Es ist zu begrüßen, dass sich der Gesetzgeber der erheblichen verfassungsrechtlichen Kritik auch ohne den Fingerzeig aus Karlsruhe angenommen hat und den ursprünglichen Rechtszustand rückwirkend wiederherstellen will. Das gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass es sonst wohl noch einige Jahre gedauert hätte, bis eine klärende verfassungsgerichtliche Entscheidung ergangen wäre. Gleichwohl hätte der Gesetzgeber angesichts des freimütigen Eingestehens, eine verfassungswidrige Vorschrift beseitigen zu wollen, dabei auch diejenigen bedenken können, die ihrerseits auf die Gültigkeit eines Parlamentsgesetzes vertraut haben und jetzt möglicherweise leer ausgehen. Die Erstreckung der Neuregelung (ggf. auf Antrag) auch auf alle bestandskräftigen Fälle wäre hier eine denkbare Option gewesen.
Noch keine Entwarnung für Kapitalanleger möglich
Bevor sich jedoch Kapitalanleger in abschließender Sicherheit wähnen können, ist die Reaktion des Bundesrates abzuwarten. Für eine Zustimmung spricht, dass sich auch Oppositionsparteien im Gesetzgebungsverfahren für die Aufhebung der Verlustverrechnungsbeschränkung ausgesprochen haben. Indes birgt der Entwurf des JStG 2024 auch anderweitiges Diskussionspotenzial, dass zu einem Vermittlungsausschuss führen könnte. Es bleibt daher zu hoffen, dass die sinnvolle Gesetzgebungsmaßnahme im weiteren Verfahrensverlauf nicht Opfer der angespannten Haushaltssituation einiger Bundesländer wird. Das Gesetzgebungsverfahren soll noch im November 2024 abgeschlossen werden.