Offenlegungs- und Aufklärungspflichten in der Due Diligence

Die Frage, ob Risiken in Bezug auf das Zielunternehmen während einer Due Diligence („DD“) aktiv offenzulegen sind, stellt sich bei beinahe jeder Unternehmenstransaktion. Bei vorgeschalteten Vertragsverhandlungen besteht indes keine Rechtspflicht, den Käufer über sämtliche Einzelheiten und Umstände des Zielunternehmens aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Dennoch sollen den Verkäufer nach Willen des Bundesgerichtshofs (BGH) aufgrund der besonderen Komplexität von Unternehmenstransaktionen „gesteigerte Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten“ treffen (vgl. BGH NJW 2001, 2163, dort Leitsatz). Hierbei offenbart sich ein Zielkonflikt zwischen vorvertraglicher Aufklärung auf der einen und der Gewährleistung von Transaktionssicherheit auf der anderen Seite. Dieser Zielkonflikt erweist sich als juristisches Minenfeld, welcher das vertragliche Haftungsregime zu Fall bringen und das Risikoprofil der Transaktion insgesamt sprengen kann. Nicht zuletzt hat eine im Jahr 2023 zu einer Immobilientransaktion ergangene Entscheidung des BGH zu einigem Widerhall in der Literatur geführt und der Frage neue Dynamik verliehen (s. Urt. v. 15.09.2023 V ZR 77/22).

Herleitung

Ein präziser gesetzlicher Maßstab für Inhalt und Umfang gesetzlicher Offenlegungs- und Aufklärungspflichten fehlt. Ausgehend von den abstrakten Regelungen der culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB) und einiger Einzelfalljudikatur haben sich allerdings gewisse Leitlinien herausgebildet. Allgemeingültige Grundsätze lassen sich weder aus der Rechtsprechung noch der Literatur destillieren, auch wenn letztere erfolglos einige Systematisierungsversuche unternommen hat. Ausgehend von den vorhandenen Leitlinien ist vielmehr stets eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben vorzunehmen.

Relevanz für die modernde M&A

Das allgemeine Schuldrecht wird regelmäßig für komplexe Unternehmenstransaktionen als nicht interessengerecht empfunden und durch vertragliche Haftungsregime in Form selbstständiger Garantieversprechen samt eigener Rechtsfolgen und Haftungsbegrenzungen ersetzt. Die Garantien halten fest, für welche Eigenschaften seines Unternehmens der Verkäufer haften soll, und verschiebt so die Offenlegungspflichten in Richtung einer Risiko- und Aufwandsallokation zwischen den Parteien. Die Garantien verkörpern die abstrakten Anforderungen an die Zielgesellschaft, die Offenlegungen des Verkäufers beschreiben konkrete Abweichungen von diesem abstrakten Idealbild. Die Haftung für vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzungen wird ebenso ausgeschlossen wie sonstige gesetzliche Gewährleistungs-, Anfechtungs- oder Rücktrittsrechte. Die Haftung für Vorsatz kann jedoch nicht ausgeschlossen werden (§ 276 Abs. 3 BGB). Vorvertragliche Aufklärungspflichten können daher für vorsätzlich unterbliebene Aufklärungspflichtverletzungen nicht vertraglich abbedungen werden. Es genügt schon, wenn der Verkäufer für möglich hält, dass das Risiko unerkannt bleibt und dies billigend in Kauf nimmt. Da vertragliche Haftungsbeschränkungen nicht greifen, haftet der Verkäufer unbeschränkt.

Ungefragte Offenlegung und Aufklärung

Für den Verkäufer kann es herausfordernd sein, zu erkennen, wann er zur ungefragten Offenlegung und Aufklärung verpflichtet ist. Nach dem BGH besteht „auch bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise erwarten darf“ (st. Rspr., vgl. zul. BGH NZG 2023, 1565, 1567). Offenbarungspflichtige Umstände liegen nach der Rechtsprechung dann vor, wenn sie geeignet sind, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, also eine gewisse Wesentlichkeit aufweisen. Der Kaufpreisrelevanz des Risikos kommt bei der Wesentlichkeitsbetrachtung erhebliche Bedeutung zu. Bei der Ermittlung des Vertragszwecks und der Wesentlichkeit müssen zudem der spezifische Käufer und seine subjektiven Zwecksetzungen berücksichtigt werden.

Zur Verdeutlichung einige Beispiele für offenbarungspflichtige Umstände aus der Rechtsprechung:

  • Offenlegung unrichtiger Unternehmenskennzahlen
  • Verschweigen von Wettbewerbsbeschränkungen
  • Fehlen wesentlicher Vermögensgegenstände
  • Umstände, die eine Existenzgefährdung begründen
  • Erhebliche Steuerverbindlichkeiten
  • Verlust eines wichtigen Kunden
  • Unternehmen ist unrentabel und nicht als Existenzgrundlage geeignet

Als Faustformel lässt sich festhalten: Der Verkäufer hat ungefragt über solche Umstände aufzuklären, von denen er im konkreten Fall (Einzelfallbetrachtung) annehmen kann oder muss, dass der Käufer diese unter Berücksichtigung der Transaktionsumstände nicht kennt und dass, wenn er sie kennen würde, er den Kaufvertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen hätte (Wesentlichkeit).

Offengelegt ist nicht aufgeklärt

Offenlegung und Aufklärung werden häufig synonym verwandt. Tatsächlich bestehen qualitative Unterschiede. Aufklärung umfasst, den potenziell kritischen Sachverhalt gegenüber dem Käufer aktiv anzusprechen. Offenlegung beschränkt sich in der Regel auf die bloße Vorlage der zur Identifizierung des Risikos notwendigen Informationen, nach deren Auswertung der Käufer das Risiko selbstständig erkennen muss. Ob die bloße Offenlegung ausreicht, ist stets eine Frage des Einzelfalls und kann kaum pauschal beantwortet werden.

Bedeutung der Begleitumstände 

Wesentlich kommt es auf die Begleitumstände an, um zu ergründen, wann die Erwartung gerechtfertigt ist, der Käufer werde die Unterlagen im Virtuellen Datenraum (VDR) zur Kenntnis nehmen und daraus auf das aufklärungspflichtige Risiko schließen. Wie sollte es anders sein, handelt es sich um eine einzelfallabhängige Wertungsfrage. Übergeordnete Kriterien sind u.a., ob und in welchem Umfang eine DD durchgeführt wird, die Struktur und Organisation des VDR sowie die Art der Information selbst, vor allem ihre Bedeutung für den Käufer und ihre Erkennbarkeit aus den Unterlagen.

Zur Verdeutlichung einige vom V. Senat des BGH benannte Kriterien: 

  • Umfang der Informationen im VDR
  • Begleitung der DD durch qualifizierte Berater?
  • Sind die Datenrauminformationen zutreffend benannt und systematisch geordnet?
  • Gibt es ein Inhaltsverzeichnis oder eine Suchfunktion?
  • Wird der Käufer auf nachträglich eingestellte Informationen gesondert hingewiesen?
  • Welches Zeitfenster steht für die DD zur Verfügung?
  • Wurde die Information angefordert bzw. zum Ausdruck gebracht, dass es dem Käufer auf einen Umstand besonders ankommt?
  • Wie geschäftsgewandt ist der Käufer (soweit dem Verkäufer bekannt)?

Empfehlungen für die Praxis

Vordringlich sollte der Verkäufer sicherstellen, dass in der DD alle erkennbaren, für den Käufer bei seiner Entscheidung wesentlichen Sachverhalte offengelegt werden und dies auch nachweisbar ist. Dazu gehört eine sorgfältige Protokollierung etwaiger Antworten auf Nachfragen. Der Verkäufer sollte hinterfragen, ob er die Informationen in einem strukturierten VDR offengelegt hat, der die eigene Subsumtion des Verkäufers zur Risikoidentifizierung ermöglicht. Andernfalls sollte er wesentliche Risiken aktiv benennen. Die sorgsame Vorstrukturierung des VDR wirkt haftungsvermeidend und beschleunigt den Prozess. Rechtsberatung kann in diesem Stadium wesentliche Risiken vermeiden. Weiter sollte ein professioneller VDR mit den heute gängigen Funktionen (u.a. Suchfunktion, Benachrichtigung über neue Dokumente, automatische Indexierung) aufgesetzt werden. Gerade die in kleineren Transaktionen gelebte Praxis, aus Gründen der Kostenersparnis Informationen über einen einfachen SharePoint zur Verfügung zu stellen, ist nicht ohne Tücken. Selbst wenn dies in Kauf genommen wird, sollte der Verkäufer den Käufer stets zumindest per E-Mail informieren, das und wo im VDR noch Dokumente hochgeladen wurden. Von der vielfach auf der Zielgeraden angewandten Taktik, kurz vor dem Signing den VDR noch mit kritischen Dokumenten zu fluten, sollte Abstand genommen werden. Ansonsten empfiehlt sich eine Klarstellung im Kaufvertrag, dass bis zum Signing ausreichend Gelegenheit für die Auswertung der zusätzlich in den VDR hochgeladenen Dokumente bestand.

Offenlegungs- und Aufklärungspflichten spielen auch bei Immobilientransaktionen eine große Rolle. Hierzu sei der Beitrag meiner Kollegin Nina Mušinović vom 28.09.2023 empfohlen.