Indirect Taxes

EuGH zur Umsatzsteuerbefreiung von Unterrichtsleistungen einer Schwimmschule

08.11.2021 | FGS Blog

Die Umsatzbesteuerung von Bildungsleistungen ist immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt. Dies betraf beispielsweise die Leistungen der Fahr-, Tanz-, Schwimm- oder Sprachschulen. Solche Leistungen können unter bestimmten Umständen umsatzsteuerfrei sein. Aufgrund des oftmals hohen Personalaufwands in diesen Bereichen kann sich die Befreiung besonders positiv auswirken. Zudem ist sie ein entscheidender Faktor für die Preisbildung der Leistungen, die in aller Regel an nicht vorsteuerabzugsberechtigte Personen erbracht werden.

 

Das angesprochene Konfliktpotenzial ergibt sich insbesondere daraus, dass teils deutliche Abweichungen der nationalen von den unionsrechtlichen Vorgaben bestehen. Insofern hatte der deutsche Gesetzgeber zwischenzeitlich im JStG 2019-E eine vollständige Neufassung der nationalen Regelungen vorgesehen. Der Gesetzgeber stoppte das Verfahren allerdings seinerzeit mit Blick auf ein anhängiges Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Nachdem das Urteil nun vorliegt, stellt sich die Frage wie es weiter geht.

Keine steuerbefreiten Unterrichtsleistungen einer Schwimmschule nach nationaler Norm

Die Entscheidung des EuGH basiert auf einem Vorabentscheidungsersuchen des deutschen Bundesfinanzhofs (BFH). Dem Verfahren lag ein Rechtsstreit zwischen dem Finanzamt München und einer Schwimmschule in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zugrunde. Die Schwimmkurse der Einrichtung sollten die Grundlagen und Techniken des Schwimmens vermitteln. Sie nahm an, dass diese Leistungen nach nationalem Recht von der Mehrwertsteuer befreit seien. Das dies verneinende Finanzamt legte im Ergebnis einer dies bejahenden finanzgerichtlichen Entscheidung Revision beim BFH ein.

 

Fraglich war nach dessen Vorlage beim EuGH, ob die streitgegenständlichen Leistungen Schul- und Hochschulunterricht im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL seien. Die Vorlage war insbesondere aufgrund einer vorherigen EuGH-Entscheidung zu Fahrschulen veranlasst. Danach kamen bereits Zweifel an der bisherigen deutschen Sichtweise auf.

 

Speziell zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL wollte der BFH in Erfahrung bringen, ob sich eine Anerkennung als eine „Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung“ daraus ergeben kann, „dass es sich bei dem von dieser Einrichtung erteilten Unterricht um die Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit handelt“. Sollte dies nicht der Fall sein, war drittens fraglich, ob die Steuerfreiheit nach Art. 132. Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraussetzt, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen um einen Einzelunternehmer handelt.

Auch kein mehrwertsteuerbefreiter Schul- und Hochschulunterricht im Sinne des Unionsrechts

Zunächst betont der EuGH, dass die unionsrechtlichen Mehrwertsteuerbefreiungen die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten bezwecken. Bei der Auslegung der dabei verwendeten Begriffe ist ein enger, gleichwohl nicht sinnentfremdender, Maßstab anzulegen.

 

Die Begrifflichkeit beschränkt sich indes nicht auf Unterricht, der zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt. Vielmehr sind auch Tätigkeiten umfasst, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler und Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben. Dabei ist gleichwohl ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gefordert.

 

Letzteres sah der EuGH im vorliegenden Fall gerade als nicht gegeben an. Zwar sei der vorliegende Schwimmunterricht von besonderer Wichtigkeit und auch im Allgemeininteresse, dennoch handele es sich um einen spezialisierten, punktuell erteilten Unterricht. Bei diesem komme es per se nicht zu der erforderlichen breiten Stoffvermittlung, wie es der Typus eines Schul- und Hochschulunterrichts erfordere. Nach diesem Ergebnis erübrigte sich aus Sicht des EuGH die Beantwortung der verbleibenden Fragen.

Risiken für die nationale Steuerfreiheit bestimmter Unterrichtsleistungen

Auf den ersten Blick erscheint die Entscheidung des EuGH wenig überraschend. Die Voraussetzungen des Begriffs des „Schul- und Hochschulunterrichts“ wurden bereits weitgehend konkretisiert, sodass die gegenständliche Einordnung der Schwimmkurse an diesem Maßstab vorgenommen werden konnte.  Das aktuelle Urteil bekräftigt indessen die bisherige Linie trotz der Zweifel des BFH und verleiht daher dieser bedeutenden Thematik wieder neuen Aufwind hinsichtlich der nationalen Gesetzgebung.

 

Bemerkenswert ist, dass zwar die Bedeutung des Schwimmunterrichts für Kinder als wichtige Tätigkeit im Allgemeininteresse gewürdigt wird. Insofern könne auch von dem von einer Fahrschule erteilten Fahrunterricht unterschieden werden. Dies genüge gleichwohl nicht den Erfordernissen eines integrierten Schul- und Hochschulunterrichts.

 

Nun stellt sich die Frage, wie sich das Urteil auf den Bestand der § 4 Nrn. 21 und 22 Buchst. a UStG auswirken wird. Aufgrund der Aussagen des EuGH könnte naheliegen, dass der Entwurf zur Änderung der Vorschriften nach dem JStG 2019-E nun wieder aufgegriffen wird. Das Urteil könnte mithin ein Anhaltspunkt für kommende Anpassungen sein. Danach würde sich eine bedeutende Annäherung an das Unionsrecht ergeben, was grundsätzlich begrüßenswert ist.

 

Gleichwohl wäre dies für die betroffenen Anbieter nicht nur mit Vorteilen (Rechtssicherheit) verbunden.  Insbesondere ist nach dem bisherigen § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG ein direkter Bezug zu einem Gewerbe oder Beruf, wie er nach Art. 44 der MwStVO der EU klar gefordert ist, nicht notwendig. Damit könnten zukünftig viele – bislang steuerfreie – Bildungsangebote umsatzsteuerpflichtig werden (z.B. Sprachkurse an Volkshochschulen). Dass damit Bildungsangebote im Allgemeininteresse womöglich erheblich verteuert werden, hat der EuGH im Bereich der Schwimmschulen nicht als Argument gelten lassen.