Für Share Deals über mind. 90 % der Anteile an einer Grundstücksgesellschaft vertritt die Finanzverwaltung neuerdings die umstrittene „Signing-Closing-Theorie“, wonach Vertragsabschluss und Anteilsübergang zwei unterschiedliche grunderwerbsteuerbare Vorgänge darstellen sollen. Durch das Jahressteuergesetz 2022 wurde mit § 16 Abs. 4a GrEStG eine Verfahrensregelung eingeführt, die zur Vermeidung einer möglichen doppelten Grunderwerbsteuer bei Anteilsübertragungen an grundbesitzenden Gesellschaften dienen soll. Tatsächlich ist das mit der Regelung verbundene Risiko für den Steuerpflichtigen aber deutlich größer als ihr Nutzen.
1. Hintergrund und Regelung des § 16 Abs. 4a GrEStG
Die Finanzverwaltung vertritt die sog. „Signing-Closing-Theorie“, nach der z.B. bei einem Verkauf von 100 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft zwei grunderwerbsteuerbare Vorgänge vorliegen sollen: Im Zeitpunkt des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts (Signing) liege ein Anwendungsfall des § 1 Abs. 3 GrEStG vor und beim späteren Übergang der Anteile (Closing) ein Anwendungsfall des § 1 Abs. 2a/2b GrEStG. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, soll nach Ansicht der Verwaltung die Festsetzung nach § 1 Abs. 3 GrEStG für das Signing wieder aufgehoben werden, sobald es zum Closing kommt und damit der Tatbestand des § 1 Abs. 2a/2b GrEStG ausgelöst wird. Umstritten war jedoch, nach welcher verfahrensrechtlichen Korrekturvorschrift diese Aufhebung erfolgen kann.
Durch das Jahressteuergesetz 2022 wurde mit § 16 Abs. 4a GrEStG eine Verfahrensregelung eingeführt, welche die Korrektur gesetzlich regeln soll. Vereinfacht sieht § 16 Abs. 4a GrEStG vor, dass eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 bzw. 3a GrEStG auf Antrag aufgehoben oder geändert wird, wenn in Erfüllung des Rechtsgeschäfts beim Übergang der Anteile der Tatbestand des § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG verwirklicht wird. Die Korrekturvorschrift greift jedoch gem. § 16 Abs. 5 Satz 2 GrEStG nicht, wenn einer der in § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG oder in § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt (§§ 18 bis 20 GrEStG) war. Es muss also sowohl bei Signing als auch bei Closing eine fristgerechte und vollständige Anzeige erfolgen, andernfalls greift die Rückabwicklungsvorschrift nicht ein.
2. Risiko der Doppelbesteuerung bei fehlenden, unvollständigen oder nicht fristgerechten (Doppel-)Anzeigen
Da eine Korrektur nach § 16 Abs. 4a GrEStG nur erfolgen kann, wenn sowohl bei Signing als auch bei Closing eine „fristgerechte und in allen Teilen vollständige Anzeige“ erfolgt, droht nun von Gesetzes wegen eine Doppelbesteuerung mit Grunderwerbsteuer.
Betroffen sind zunächst Fälle, in denen das Signing und/oder das Closing gar nicht angezeigt werden. Zu befürchten ist auch, dass es in Betriebsprüfungen zu einer „automatischen“ Doppelbesteuerung kommt, wenn ein Grunderwerbsteuerfall erst nachträglich aufgedeckt wird. In diesem Fall fehlt es naturgemäß an fristgerechten Grunderwerbsteuer-Anzeigen.
Aber auch wenn beide Anzeigen erfolgen, werden dabei häufig folgenschwere Fehler begangen. Bereits bei übersichtlichen Transaktionen scheitern Anzeigen häufig daran, dass sie nicht den umfangreichen gesetzlichen Anforderungen genügen, nicht innerhalb von 14 Tagen oder bei einem nicht zuständigen Finanzamt eingereicht werden. Bei komplexen Transaktionen ist die Herausforderung umso größer, eine vollständige und fristgerechte Anzeige vorzunehmen. Aus der Praxis als häufige Fehlerquelle bekannt ist, dass die zusätzlichen Pflichtangaben bei Share Deals gem. § 20 Abs. 2 GrEStG (u.a. Bezeichnung des oder der Gesellschaftsanteile sowie Beteiligungsübersicht) übersehen oder nicht hinreichend aussagekräftig aufbereitet werden.
Erschwerend kommt bei der Anzeigeerstellung hinzu, dass aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten zur sog. Grundstückszurechnung (dazu FGS Blog vom 26.9.2022) häufig nicht einmal eindeutig ist, welche Person oder Gesellschaft eine Anzeige für welchen Vorgang und bei welchem Finanzamt erstatten muss.
3. Praxisfolgen und Handlungsempfehlungen
Im Transaktionsalltag – und dies bedeutet: bei jedem Share Deal, bei dem mind. 90 % der Anteile übergehen und eine Gesellschaft mit inländischem Grundbesitz unmittelbar oder mittelbar betroffen ist – muss nun umso genauer auf eine vollständige und fristgerechte „doppelte“ Anzeigeerstattung bei Signing und Closing geachtet werden, um Doppelbesteuerungs- und Haftungsrisiken zu entgehen. Unter Berücksichtigung der Rechtsunsicherheiten zur sog. Grundstückszurechnung (siehe oben) werden in der Praxis zunehmend vorsorgliche Mehrfachanzeigen für verschiedene Gesellschaften erforderlich.
Sofern es aufgrund der neuen Regelung zu einer Doppelbesteuerung kommt, sollten betroffene Steuerpflichtige dies jedoch nicht hinnehmen. Zum einen ist umstritten, ob die von der Verwaltung vertretene „Signing-Closing-Theorie“ zutreffend ist. Die herrschende Auffassung vertritt weiterhin, dass aufgrund des gesetzlich geregelten Anwendungsvorrangs eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG so lange unterbleiben muss, wie eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a/2b GrEStG noch möglich ist. Zum anderen könnte eine verfahrensrechtliche Korrektur des § 1 Abs. 3 GrEStG-Bescheides ggf. auch ohne § 16 Abs. 4a GrEStG möglich sein.
Zu beachten ist, dass die Einführung des § 16 Abs. 4a GrEStG vom Gesetzgeber ohne eine Übergangsregelung erfolgt ist, sodass die Regelung im Grundsatz rückwirkend Anwendung findet. Diese bedeutet, dass die Verwaltung auch bereits vergangene Anteilsübertragungen aufgreifen könnte. Auch hiergegen sollten sich Steuerpflichtige wehren, da eine rückwirkende Anwendung der Norm zu Lasten des Steuerpflichtigen wohl verfassungswidrig wäre.
Einen ausführlichen Beitrag zum Thema lesen Sie demnächst auch in der DStR.